12.03.2002

Stammzellgesetzentwurf ebnet Deutschland Weg in verbrauchende Embryonenforschung - Alternativer Gesetzentwurf in Arbeit

Anlässlich der Anhörung zum Entwurf eines Stammzellgesetzes (SZG) erklärt die Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, Dr. med. Claudia Kaminski:

Der vorgelegte Gesetzentwurf widerspricht in seinem Begründungszusammenhang und in seiner Intention dem geltenden Embryonenschutzgesetz (ESchG) und höhlt den rechtlichen Schutz menschlichen Lebens in allen Phasen seiner Existenz substantiell aus. Darüber hinaus weicht es in alarmierendem Maße von dem Beschluss des Bundestages vom 30. Januar ab. Dies wird in der Öffentlichkeit dadurch verschleiert, dass:

· zur Einbringung des Gesetzes (erste Lesung) keine Debatte im Bundestag erfolgte,
· es unmittelbar dem Forschungsausschuss und nicht dem Gesundheitsausschuss zur Beratung überwiesen wurde und
· bereits kurz nach der Osterpause ab Mitte April die de facto zweite (und eventuell dritte) Lesung im Eilverfahren erfolgt.

Hier sollen offensichtlich in einer zentralen bioethischen Frage neue Fakten geschaffen werden, die dem geltenden Recht widersprechen, und dies, obwohl alle Meinungsumfragen zeigen, dass die Bevölkerung eine verbrauchende Embryonenforschung mehrheitlich ablehnt. Der BVL lehnt den Gesetzentwurf in der vorgelegten Form ab. Der Status des Embryos und der verfassungsrechtlich garantierte und höchstrichterlich bestätigte Schutz menschlichen Lebens darf in Deutschland auch künftig nicht willkürlichen Forschungsinteressen sowie vagen Heilungsversprechen geopfert werden. Im einzelnen weist der BVL besonders auf folgende Probleme hin:
· Entgegen seinem Titel “Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes (...)” ermöglicht der vorgelegte Entwurf erstmalig die Einfuhr und wissenschaftliche Verwendung menschlicher embryonaler StammZELLEN zu Forschungszwecken in Deutschland. Während das ESchG ausdrücklich jegliche Verwendung zu fremdnützigen — d.h. nicht der Erhaltung des Embryos dienenden — Zwecken klar verbietet, erlaubt der Gesetzentwurf explizit die Einfuhr und Verwendung “nur” zu Forschungszwecken und “nur” zur Verfolgung hochrangiger Forschungsziele. Damit würde künftig die verbrauchende Embryonenforschung zur gesetzlich gebilligten Realität und jeder Antragsteller, der therapeutische Gründe und Ziele perspektivisch darlegen kann, eine Importgenehmigung durch die zuständige Behörde erhalten.

· Während der Bundestagsbeschluss die Einfuhr a) auf embryonale “StammZELLLINIEN”, die b) zu einem Stichtag vor dem 30. Januar 2002 entwickelt worden sind, beschränken will, erlaubt der Gesetzentwurf ausdrücklich bereits die Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler “StammZELLEN”. Das steht in eklatantem Widerspruch zur Entscheidung und Maßgabe des Beschlusses des Bundestags, der sich explizit auf bestehende StammZELLLINIEN” beschränkt. Der Unterschied ist von entscheidender Bedeutung, da im Vergleich zu wenigen Dutzend intakten StammZELLLINIEN der weltweite Vorrat an embryonalen StammZELLEN in die Millionen gehen dürfte und jeder bis heute eingefrorene Embryo über StammZELLEN verfügt, die für die Forschung entnommen und verwendet werden könnten. Weltweit verfügen zahllose private oder öffentliche Reproduktions- und Forschungseinrichtungen über einen so großen Bestand an tiefgefrorenen Embryonen aus der In Vitro-Fertilisation, dass eine Stichtagsregelung für die Entnahme von StammZELLEN zwecks Begrenzung völlig irrelevant wäre.

Da der Gesetzentwurf vorsieht, den Import embryonaler StammZELLEN zu erlauben, können deutsche Forscher aus diesen künftig selbst StammZELLLINIEN züchten. Mit der Ausweitung der Importgenehmigung “heizt” Deutschland die verbrauchende Embryonenforschung also entgegen dem Bundestagsbeschluss an und verstärkt den Wettbewerb auf einem wachsenden und medizinisch wie wirtschaftlich interessanten Markt.

· Völlig widersprüchlich ist im neuen Gesetz, dass das geltende Recht des Herkunftslandes der embryonalen StammZELLEN der Maßstab für die Zulässigkeit der Freigabe der Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken sein soll. Es müssen zwar “berechtigte natürliche Personen” sein, die ihre Zustimmung zur Tötung und Nutzung des Embryos geben, jedoch werden dies in der Regel bei den reproduktionsmedizinischen Instituten gerade an der In Vitro Produktion aus Ei- und Samenspenden beteiligte, angestellte Forscher sein. Ihre Arbeitsplätze hängen davon ab, wie viele Embryonen sie erfolgreich gezüchtet und verwertet haben. In England, einem möglichen Exportland, gibt es z.B. überhaupt keine rechtliche Beschränkung der Verwendung von Embryonen bis zum 14. Lebenstag. Hier können also beliebig viele Embryonen für den Export produziert und freigegeben werden.

Auch die im Gesetzesentwurf vorgesehene Bedingung, dass es keine finanzielle Entschädigung für die Überlassung der Embryonen geben darf, bleibt nahezu wirkungslos, da sie kompensatorische Leistungen vor oder nach Überlassung der Embryonen, wie Patentierungsrechte oder andere wirtschaftliche Anreize unberücksichtigt lässt. Hier stellt sich die Frage, welche nicht-ökonomischen Gründe etwa ein US-Forschungsinstitut an der Überlassung embryonaler StammZELLEN an deutsche Kollegen haben sollte. Tatsächlich leben bereits zahlreiche internationale Firmen davon, Embryonen produzieren und abgeben zu können. Anders als in Deutschland werden in anderen Ländern bei künstlichen Befruchtungen nicht selten so viele Embryonen wie möglich erzeugt, ohne dass die Absicht existiert, diese auch alle in einer Gebärmutter einzupflanzen.

Im Bundestagsbeschluss vom 30. Januar wird – verfassungswidrig – das Einverständnis der Eltern zur Tötung ihres Embryos zur Gewinnung von Stammzellen verlangt. Dies wird im vorgelegten Gesetzentwurf weiter ausgelegt, da nun auch andere natürliche Personen einwilligen können sollen. Hier ist daran zu erinnern, dass das ESchG die Herstellung von Embryonen ausdrücklich nur zu Fortpflanzungszwecken erlaubt.

· Nachweislich werden in einigen Ländern bereits Zellen von Embryonen und Föten für kosmetische Produkte u.a. gegen Hautalterung verarbeitet. Ökonomisch betrachtet könnte dies durchaus ein attraktives Ziel zur Produktion von Embryonen sein. Der Bundestagsbeschluss und auch der Gesetzentwurf tragen dem insofern Rechnung, als der Import nur zu Forschungszwecken und nur zur Verfolgung hochrangiger Forschungsziele zugelassen werden soll.

Dass aber auch restriktiv gemeinte Vorgaben mit der Zeit ausgehöhlt werden und daher auch die Verwendung von Embryonen im Kosmetikbereich durchaus realistisch erscheinen muss, zeigen die Entwicklungen in der Pränataldiagnostik und die zunehmenden Spätabtreibungen. Zu Beginn nur für Einzelfälle gedacht, ist Pränatale Diagnostik heute längst zu einer Selektionsmethode für “kleinere Defekte” geworden. Grund für eine Spätabtreibung ist heute oft selbst eine gut therapierbare Hasenscharte.

Daher ist bei der notwendigen und nur unzureichend geregelten Prüfung so genannter hochrangiger Forschungsziele davon auszugehen, dass dies eine völlig relative und deswegen faktisch unwirksame Einschränkung für Forscher darstellt. Es ist davon auszugehen, dass aus Sicht der Forschung nahezu jedes medizinische Heilungsziel (von der Querschnittslähmung bis zum grippalen Infekt) den Verbrauch embryonaler Stammzellen rechtfertigt. Hinzu kommt, dass in vielen Ländern - und in zunehmendem Maße auch in Deutschland - seitens zahlreicher Forscher im Widerspruch zur Rechtslage Embryonen als noch nicht originär menschliches Leben betrachtet werden.

· Eine Zentrale Ethik-Kommission soll über die Zulässigkeit des jeweiligen Importantrages beraten. Sie wird voraussichtlich durch die Bundesregierung bestellt und deshalb im Sinne der Regierung mehrheitlich aus Befürwortern der Zulässigkeit verbrauchender Embryonenforschung bestehen. Da sie jedoch nur zu Stellungnahmen, nicht aber zu Entscheidungen berechtigt sein soll, kann das zuständige Bundesministerium letztlich nach Belieben verfahren. Die zudem niedrige Geldbuße von maximal 50.000 Euro, die bei der Missachtung des Gesetzes zu zahlen wäre, wird keinen Forscher ernsthaft von vielversprechenden und lukrativen Wissenschaftsprojekten abhalten. In krassem Gegensatz dazu steht das Urteil des Landgerichtes Heilbronn, dass für das wiederholte Verteilen eines Flugblattes 250.000 Euro angesetzt hat.

FAZIT:
Das vorliegende Stammzellgesetz bedeutet für Deutschland den Eintritt in die verbrauchende Embryonenforschung. Menschliche Embryonen werden durch das “Einfuhrgesetz” de facto zur internationalen Handelsware deklariert.

Bemerkenswert ist, dass sich Ende Februar in dem zuständigem UN-Gremium in New York die Vertreter Deutschlands gemeinsam mit Vertretern aus England, Russland, Israel, China, Australien und anderen Ländern bereits öffentlich für die Notwendigkeit des therapeutischen Klonens ausgesprochen haben. Dies muss vor dem Hintergrund des vorliegenden Stammzellgesetzentwurfes als konsequent bezeichnet werden. Diese Länder wollen im Gegensatz zu den USA, Spanien und Italien durch eine UN-Konvention nur das so genannte “reproduktive Klonen” weltweit ächten. Das Verbot des Klonens von Menschen zu Forschungszwecken, das sogenannte “therapeutische Klonen” (das technisch identisch mit dem “reproduktiven Klonen” ist) sei jedoch – so der Vertreter Berlins vor der UNO – nicht einmal in Europa mehrheitsfähig durchzusetzen. Auch dies belegt, dass es beim vorgelegten Gesetzentwurf um weit mehr geht, als einen “streng begrenzten” Import embryonaler Stammzellen.

Schon am 3. Mai 2001 hatte die DFG erklärt: “Der bloße Import von embryonalen Stammzellen scheint der DFG jedoch nicht ausreichend” und die “aktive Teilnahme deutscher Wissenschaftler an der Herstellung embryonaler Stammzellen” sei “wünschenswert”, schon, um am “internationalen Standardisierungsprozess” teilzunehmen. Weiter heißt es: “Sollten sich die Wissenschaftlern in Deutschland zur Verfügung stehenden pluripotenten Zelllinien objektiv nicht geeignet erweisen oder sollten die Forschungsarbeiten mit ihnen in nicht zu rechtfertigender Weise eingeschränkt sein, schlägt die DFG dem Gesetzgeber als zweiten Schritt vor, in Überlegungen einzutreten, Wissenschaftlern die Möglichkeit zu eröffnen, aktiv an der Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen zu arbeiten.”

Die weitergehende Erprobung embryonaler Stammzellentherapien wird medizinisch, forschungstechnisch und wirtschaftlich erst lohnend und interessant, wenn auf der Basis dieser Ergebnisse möglichst individuelle Therapien für einzelne Patienten entwickelt werden können. Und dazu ist als nächster Schritt das “therapeutische Klonen”, die Schaffung genetischer Doubles, unbedingt erforderlich. Ist erst einmal die Tür zur prinzipiellen Akzeptanz verbrauchender Embryonenforschung, der Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken, sei es im Ausland oder im Inland, rechtlich geöffnet, wird es keinen Ausstieg aus dieser Forschung mehr geben. Ein Gesetz, dass den deutschen Einstieg erst ermöglicht und den internationalen Embryonenhandel damit weiter fördert, muss mit aller Konsequenz verhindert werden. Der vielversprechenden Forschung an ethisch unbedenklichen adulten Stammzellen ist in Deutschland der absolute Vorrang einzuräumen, wie es auch im Bundestagsbeschluss vom 30. Januar formuliert ist. Bereits jetzt sind die Forschungsergebnisse mit adulten Stammzellen überzeugender.

Wer für sich eine “Ethik des Heilens” in Anspruch nimmt und diese national oder international auf der Tötung von Embryonen aufbauen will, handelt nicht primär heilend, sondern tötend. Dieser eklatante Widerspruch darf nicht durch Semantik verdeckt werden. Die Heilung eines Menschen darf nicht auf der Tötung eines anderen basieren. Hier ist der Widerstand unserer Gesellschaft und unseres Rechtssystems gefordert.

Deshalb wird der BVL gemeinsam mit weiteren Verbänden und Institutionen am 11. April in Berlin einen alternativen Gesetzentwurf vorstellen, der die geltende Rechtsordnung konsequent weiterentwickelt. Das Recht auf Leben jedes einzelnen menschlichen Embryos darf zu keinem Zeitpunkt den verständlichen Heilungswünschen kranker Menschen geopfert werden. Embryonen sind keine Handelsware und dürfen auch durch den Gesetzgeber nicht dazu gemacht werden.