23.01.2002

Darf man Abtreibungen nicht mehr als "rechtswidrig" bezeichnen?

Der TCLG-Vorsitzende zum Urteil des Heilbronner Landgerichts

Darf man Abtreibungen nicht mehr als "rechtswidrig" bezeichnen?

Der TCLG-Vorsitzende zum Urteil des Heilbronner Landgerichts

Wie die Evangelische Nachrichtenagentur idea meldet, hat das Landgericht Heilbronn dem Lebensschützer Günter Annen (Weinheim bei Heidelberg), der vor einer Praxis eines Frauenarztes Flugblätter verteilt hatte, ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder sechs Monate Haft angedroht, falls er seine Aktion wiederhole. Annen hatte auf den Flugblättern die von einem namentlich genannten Arzt vorgenommen Abtreibungen als „rechtswidrig“ bezeichnet. Nach Ansicht des Gerichts handelt es sich bei dieser Aussage, um eine “unwahre Tatsachenbehauptung”. Passanten müssten annehmen, dass der Arzt verbotene Schwangerschaftsabbrüche vornehme. Rechtswidrig seien jedoch nur Abtreibungen nach der zwölften Schwangerschaftswoche. Ein unvoreingenommenes Publikum, so die Heilbronner Richter, gehe davon aus, dass der Gesetzgeber Abtreibungen für “nicht erwünscht, aber rechtmäßig” halte, weil die Voraussetzungen genau geregelt seien und an der Durchführung staatliche und kirchliche Stellen mittelbar mitwirkten. Mit der Aufforderung “Stoppt rechtswidrige Abtreibungen” erwecke Annen außerdem den Eindruck, dass die Öffentlichkeit gegen das Töten von Babys einschreiten müsse. Der Arzt werde auf eine Stufe mit illegal abtreibenden Kurpfuschern gestellt. Damit werde in das Persönlichkeitsrecht des Mediziners in nicht gerechtfertigter Weise eingegriffen. Nach Auffassung des Gerichts sei hingegen eine Kritik an Abtreibungen nicht zu beanstanden, wenn “das Nicht-Verbotene und Nicht-Strafbare von Schwangerschaftsabbrüchen klar zum Ausdruck kommt”. Ungerügt blieben Aussagen zur Abtreibung selbst, wonach dem Ungeborenen bei lebendigem Leib Hände, Arme, Füße und Beine abgerissen werden. Der Arzt, der im Internet seinen Leistungskatalog einschließlich “operativer Eingriffe zur Unterbrechung einer intakten Schwangerschaft” vorstellte, hatte zusätzlich einen Strafantrag gegen Annen gestellt. Das Amtsgericht Heilbronn verurteilte den Lebensschützer daraufhin zu zwei Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe von 550 Euro. Gegen beide Urteile hat Annen Berufung eingelegt, zumal andere Gerichte ähnliche Flugblätter als straffreie Meinungsäußerungen eingestuft hatten.

Steeb: “Der Rechtsstaat verwelkt”

Der Vorsitzende des Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen, Hartmut Steeb, Stuttgart, meinte zu dem Urteil: „Günter Annen wird zu einem Ordnungsgeld verurteilt, weil die Verfassungsorgane ihrer vom Bundesverfassungsgericht auferlegten Pflicht nicht nachkommen. Es wird in der Urteilsbegründung nicht behauptet, dass Günter Annen tatsächlich mit der Behauptung, Schwangerschaftsabbrüche seien rechtswidrig, falsch liege. Vielmehr geht das Heilbronner Landgericht von einer „falschen Tatsachenbehauptung“ aus. Hierbei ist nach Auffassung des Landgerichts offenbar der umgangssprachliche Ausdruck höher zu werten als die vom Bundesverfassungsgericht festgelegte Rechtslage. Dass sich aber in der allgemeinen Bevölkerung inzwischen der Eindruck verbreitet hat, Abtreibungen seien nicht rechtswidrig, sondern rechtens, ist der Bundesregierung anzulasten. Sie wäre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet, in einer groß angelegten Kampagne für den Schutz des ungeborenen Lebens zu werben. Weil sie das in den vergangenen Jahren unterlassen hat, hat sich eine falsche Sicht in der Bevölkerung ergeben. Das wird nun vom Heilbronner Landgericht Günter Annen angelastet. Ein solches Urteil ist nicht hinnehmbar, weil es nach dem Unrechtsmotto geht „Die Großen lässt man laufen, die Kleinen hängt man“. Wenn der Bundesgesetzgeber ihre Nachbesserungspflichten, die ihm vom Bundesverfassungsgericht auferlegt wurden, nicht wahrnehmen, wird das nicht geahndet aber die skandalösen Folgen in der Vernachlässigung des Rechtsbewusstseins in der Bevölkerung. Denn auch das Heilbronner Landgericht bestreitet nicht, dass Günter Annen mit seiner Behauptung recht hat, verurteilt ihn aber, weil die Wahrnehmung in der Bevölkerung dieses Recht nicht erkennt und deshalb demjenigen, der Unrecht handelt, dass Recht auf eine freie Berufsausübung zubilligt gegenüber der Meinungsfreiheit, dass Recht hochzuhalten. So verwelkt der Rechtsstaat? Wir hatten immer darauf hingewiesen, dass schon die 1993 vom Gesetzgeber geprägte Formulierung “rechtswidrig, aber straffrei” in der Öffentlichkeit als Zustimmung zu Abtreibungen ausgelegt werde und dass damit habe das Strafrecht seine gewissenschärfende Funktion verlieren werde. Das schlimme ist, dass genau das von den politischen Drahtziehern auch so gewollt war.“

 

Nicht einmal in einer Bananenrepublik möglich

Nach Ansicht der Vorsitzenden des Bundesverbandes Lebensrecht, der Ärztin Claudia Kaminski (Köln), ist die Urteilsbegründung “so skandalös, dass sie nicht einmal einer Bananenrepublik zur Ehre gereichen kann”. Die Richter seien dem weit verbreiteten Missverständnis gefolgt, dass alles, was nicht bestraft werde, erlaubt sei. Der Hinweis auf die mittelbare Mitwirkung der Kirchen zeige, dass diese sich zum Lebensschutz ebenso unmissverständlich äußern müssten, wie sie es im Blick auf die Bioethik täten.