18.02.2002

Zum Wohl der Menschen oder zu ihrem Schaden?

Der Allianzvorsitzende Peter Strauch schrieb in „Christsein heute“ zu der am 30. Januar getroffenen Entscheidung des Deutschen Bundestages, den Import embryonaler Stammlinien unter strengen Auflagen zu genehmigen.

Zum Wohl der Menschen oder zu ihrem Schaden?

Der Allianzvorsitzende Peter Strauch schrieb in „Christsein heute“ zu der am 30. Januar getroffenen Entscheidung des Deutschen Bundestages, den Import embryonaler Stammlinien unter strengen Auflagen zu genehmigen.

Es liegt einige Monate zurück. Sabine Christiansen hatte Politiker, Mediziner und Medienleute zum Thema „Klonen – Heilsweg oder Teufelswerk“ geladen. Auf ein Plädoyer von Peter Hahne, embryonales Leben von Anfang an ohne Wenn und Aber zu schützen, reagierte Dr. Wolfgang Schäuble eher unwillig und meinte, mit einer Entweder-Oder-Position sei niemandem geholfen.

Dies war wohl auch die Mehrheitsmeinung des deutschen Bundestages am 30. Januar, denn nach einer anfänglich größeren Stimmenzahl für ein Nein zum Import embryonaler Stammzellen einigte man sich schließlich auf ein Sowohl-als-auch. „Wir wollen die strengen Regeln des Embryonenschutzgesetzes erhalten,“ sagte Andrea Fischer, „gleichzeitig schlagen wir aber eine streng geregelte Ausnahme für den Import bereits vorhandener Stammzelllinien vor.“ Bei aller Wertschätzung der früheren Ministerin, wie soll das gehen? Kann man denn an der unteilbaren Menschenwürde des Embryos festhalten und gleichzeitig dem Import seiner Stammzellen zustimmen? Sicher, die importierten Zellen stammen von bereits getöteten Embryonen, und ein Nein zum Import würde keinen von ihnen am Leben erhalten, aber die Entscheidung erscheint mir unaufrichtig. Wir in Deutschland machen uns zwar nicht die Hände daran schmutzig, aber profitieren davon, dass die anderen es tun. Das kann doch nicht richtig sein. In dieser Hinsicht hat Ulrike Flach (FDP) trotz ihres Plädoyers für den Import durchaus recht: „Entweder ist die Forschung an embryonalen Stammzellen moralisch nicht verantwortbar, und dann dürfen wir sie weder im Ausland noch im Inland zulassen, oder aber sie ist moralisch vertretbar, dann muss sie schnellstmöglich gefördert werden.“ Es bleibt dabei: Zur Gewinnung dieser Zellen sind Embryonen getötet worden, und da entlastet es uns auch nicht, dass dies im Ausland geschah und sie ohnehin „überzählig“ waren.

Was die Sache selbst betrifft, so ist unser 1990 verabschiedetes Embryonenschutzgesetz eindeutig. Es sagt, dass mit dem Augenblick der Verschmelzung von Samenzelle und Ei ein Mensch entsteht. Zwar wird von Philosophen und Juristen zunehmend zwischen biologischem Leben und dem Personsein unterschieden, aber diese Unterscheidung ist willkürlich und durch nichts zu belegen. Hubert Hüppe (CDU), der stellvertretende Vorsitzende der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, bringt es auf den Punkt: „Wer Menschenwürde zuerkennen – statt anerkennen – will, der braucht ein Kriterium, um sagen zu können, das ist zwar ein Mensch im biologischen Sinne, aber ohne jede Menschenwürde. Die Setzung dieses Kriteriums, soweit sie nicht die vorgefundene faktische biologische Setzung widerspiegelt, ist willkürlich und wissenschaftlich unhaltbar.“

Wie heißt es im 139. Psalm? „Du hast mich geschaffen mit Leib und Geist und mich zusammengefügt im Schoß meiner Mutter. Dafür danke ich dir. Es erfüllt mich mit Ehrfurcht...Du sahst mich schon fertig, als ich noch ungeformt war...Jeder meiner Tage war schon vorgezeichnet, noch ehe der erste begann.“ Wer dieses Gebet der Bibel ernstnimmt, kann nicht ruhigen Gewissens der Tötung vorgeburtlichen menschlichen Lebens zustimmen, in welchem Stadium es auch immer sein mag. Möglich, dass auch viele Christen das Wort vom „ethischen Dammbruch“ in diesem Zusammenhang für übertrieben halten, aber das Brechen der Dämme beginnt eben nicht erst, wenn die zerstörerischen Fluten alles niederwalzen, sondern mit den feinen Rissen, durch die sich das Wasser anfänglich seinen Weg bahnt.

Doch der Damm ist schon viel früher gebrochen. Es mutet fast komisch an, dass sich eine Gesellschaft in großer Breite erfreulich ernsthaft mit der Frage der ethischen Rechtmäßigkeit der Forschung an embryonalen Stammzellen befasst, aber gleichzeitig der Abtreibung und damit der Tötung ungeborener Kinder zustimmt. Bei befürchteten Behinderungen können Abtreibungen bis fast unmittelbar vor der Geburt durchgeführt werden, sodass Ärzte hin und wieder in die ausweglose Entscheidungssituation geraten, abgetriebenes Leben außerhalb der Mutter qualvoll sterben zu lassen, oder es zu retten und dabei juristisch belangt zu werden. Wer es öffentlich wagt, dagegen Stellung zu beziehen, landet in den Augen der Mehrheit schnell auf der Seite militanter Fundamentalisten. Ich werde den Verdacht nicht los, dass es auch bei der aktuellen Debatte nicht zuerst um ethische Fragen geht, sondern vielmehr um Angst vor den Risiken einer Entwicklung, die wir heute noch nicht übersehen können. Wenn das stimmt, werden auch die heute noch geltenden Grenzen keinen dauerhaften Schutz bieten können. Hat sich erst mal die Forschung an importierten embryonalen Stammzelllinien eingebürgert, werden wir auch gute Gründe finden, die nächste Schwelle zu überschreiten.

Nein, willkürliche Einschätzungen zum Beginn des menschlichen Lebens bieten keinen dauerhaften Schutz vor einer verhängnisvollen ethischen Abwärtsentwicklung, und Mehrheitsmeinungen allein tun es auch nicht. Wir brauchen einen gültigen Maßstab für das, was erlaubt ist, unabhängig von der gerade gängigen Moral. Das 1949 verabschiedete Grundgesetz bezog sich in seiner Präambel noch auf Gott, und nur bei ihm, dem Schöpfer und Erhalter des Menschen, erfahren wir, was für unser Leben gut ist. Ohne die Bindung an Gott machen wir Menschen uns zum Maß aller Dinge, und das muss unser Leben auf Dauer zerstören. Humanität ohne Gott ist eben nicht human, und die Folgen treffen vor allem jene, die sich nicht wehren können. Ungeborene Kinder, die der Forschung geopfert werden, oder die man wegen einer befürchteten Behinderung tötet, gehören dazu.

Was Christen dagegen tun können? Position beziehen - persönlich, gemeinsam und vor allem öffentlich. Unsere Demokratie bietet dazu mehr Möglichkeiten als wir denken. Warum nutzen wir sie so wenig?

Peter Strauch