02.04.2024
An eurer Liebe werden sie euch erkennen
Wie wir als Evangelische Allianz miteinander diskutieren wollen
Eine funktionierende Demokratie lebt von gehaltvollen Debatten
Frank Heinrich
© K.U. Ruof
Wer kennt solche Situationen nicht? In der Plenardebatte gibt ein Politiker äußerst strittige Äußerungen von sich. In der Zeitung stellt ein Journalist die Fakten in einen waghalsigen Zusammenhang. In der Talkshow vertritt eine Person des öffentlichen Lebens, die sogar Christ ist, eine Position, die nicht mit dem Selbstverständnis meiner Gemeinde vereinbar ist. Sofort erhitzen sich die Gemüter. Es wird heftig über politische Themen debattiert, im Familien- und Freundeskreis, in privater Korrespondenz, auf Sozialmedia oder auf der ganz großen Bühne. Meine Feststellung ist: In den emotional geführten Auseinandersetzungen wird schmerzlich vergessen, dass wir als Christen ein Licht in der Dunkelheit sein sollen. Richtig und selbstverständlich ist, dass wir uns ganz klar zur Wahrheit bekennen und für sie eintreten. Doch dazu gehört auch, dass wir zu keinem Zeitpunkt das oberste Gebot der Liebe übergehen dürfen.
Debatten ja, aber der Ton macht die Musik
Wie das insbesondere in den Begegnungen mit der Öffentlichkeit, mit Politik und Medien praktisch aussehen kann, wurde von den Gründerpersonen der Evangelischen Allianz 1846 in London bereits im Dokument der „Heilighaltung der Presse“ niedergeschrieben. Würde man aus diesem Text die alte Sprache herausrechnen, kämen wir auf Aussagen, die überraschend deutlich in unsere aktuelle Kultur sprechen. Genau auf diese aktuelle Kultur nehmen wir Bezug im Verhaltenskodex der EAD. Das Papier beruht auf einer Veröffentlichung der Europäischen EA. Die Auseinandersetzungen an sich sind nicht das Problem. Im Gegenteil, eine funktionierende Demokratie lebt von gehaltvollen Debatten. Und auch in der Bibel steht, dass wir nur stückweise erkennen, uns also auch im Gespräch mit anderen berichtigen lassen müssen. Freilich bezieht die Bibel zu einigen gesellschaftlichen und sozialen Anliegen ganz klar Stellung. Trotzdem beschreibt sie kein politisches Programm. Christen müssen für sich selbst herausfinden, welche Anliegen für sie hohe Priorität haben und wie diese angegangen werden sollten. Worin sie demgegenüber aber unmissverständlich klar ist, ist der Umgang unter Glaubensgeschwistern. In Joh 13,35 heißt es unmissverständlich: „An eurer Liebe zueinander wird jeder erkennen, dass ihr meine Jünger seid.“ In einer Predigt, die nur wenige Tage nach dem brutalen Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel in einer Gemeinde in Jerusalem gehalten wurde, hat der Pastor über das 12. Kapitel des Römerbriefes gesprochen. Besonders vor dem Hintergrund der abgrundtief bösen Gräueltaten sticht Vers 14 deutlich heraus: „Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht.“ Weiter geht es mit Vers 17: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem“ und schließlich Vers 21: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!
Mit Liebe den Hass entwaffnen
Paulus hat diese Zeilen nicht ohne guten Grund geschrieben, es muss dafür ausreichend Anlässe gegeben haben. Und auch schon viel früher hat das israelitische Volk Anfeindungen der schlimmsten Art erlebt. Ebenso wenig hat Jesus seinen Anhängern verschwiegen, dass Verfolgung zum Leben eines jeden Gläubigen gehört. Und die eindeutige Antwort darauf ist, dem Hass Liebe entgegenzusetzen. Heute kann in einem westlichen Land wie Deutschland mitnichten von körperlicher oder gar existenzbedrohender Verfolgung von Gläubigen geredet werden, auch wenn dies traurigerweise in vielen Ländern der Welt der Fall ist. Wir haben vielmehr mit Menschen und ganzen Bewegungen zu tun, die fundamental unsere christlichen Überzeugungen infrage stellen und auch elegitimieren. Wenn wir nun schon dazu aufgerufen sind, Terroristen wie der Hamas mit Liebe zu begegnen, auch wenn wir die Taten dabei eindeutig verurteilen und Gerechtigkeit hergestellt werden muss, wieviel mehr müssen wir den Menschen mit Respekt entgegentreten, die eine andere Meinung vertreten als wir? Einigen mag diese Frage überflüssig anmuten. Doch dass Anfeindungen auch im christlichen Umfeld leider keine Seltenheit sind, musste ich in meiner Zeit als Abgeordneter aushalten. Über die 12 Jahre im Bundestag haben meine Mitarbeiter und ich einen „Kotz-Ordner“ angelegt, in dem alle Anmaßungen unter der Gürtelline bis hin zu Drohungen und Absprechen des Glaubens gelandet sind. Und auch jetzt in meiner Rolle als Vorstand der EAD treten immer wieder respektlose und unverhältnismäßige Äußerungen auf. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Feste Überzeugungen zu haben und diese auch zu kommunizieren bzw. bei Bedarf für sie einzustehen, ist notwendig und richtig. Dabei darf es aber niemals zu Angriffen gegen eine Person kommen, die herabwürdigend oder beleidigend sind.
Demut ist der Schlüssel
Wir treten ein für eine gesunde und konstruktive Debattenkultur, in der intensiv auf Sachebene gerungen wird, um die beste abgewogene Entscheidung treffen zu können. Und wir treten dem Trend entgegen, dass jede abweichende und konfrontative Meinung sofort als persönlicher Angriff oder als diskriminierend gewertet wird. Deswegen möchten wir als Christen im Umgang untereinander und mit Menschen, die nicht unsere Überzeugungen teilen, durch einen respektvollen und ehrlichen Austausch Vorbilder sein. Um dazu in der Lage zu sein, müssen wir regelmäßig unsere eigene Haltung hinterfragen, wie auch Paulus uns zurechtweist: „Seid nicht klug bei euch selbst!“ (Rö 12,16b) Demut ist der Schlüssel in einem Umgang, wie er Gott gefällt und der Welt dient. Konkret brauchen wir dafür Medienkompetenz, müssen uns immer wieder mit anderen Positionen konfrontieren und nicht in unserer „Meinungs-Blase“ bleiben. Die Welt ist nicht in schwarz und weiß teilbar. Wir müssen bereit sein, uns neue Quellen von anderen Zeitpunkten oder mit einer von uns unterschiedlichen Wahrnehmung anzuschauen. Wir dürfen nicht auf das Business-Modell der schnellen und vielen Klicks hereinfallen, das nur mit reißerischen Titeln arbeitet. Wir als Christen haben den Auftrag und die Verantwortung, uns auf die Suche nach der Wahrheit zu begeben und nichts anderes in die Welt zu rufen als genau diese Wahrheit. Das ist viel Arbeit, zugegeben. Aber was ist es uns wert, dass wir als verlässliche und kompetente Gesprächspartner wahrgenommen werden? Dass wir nicht auf jeden emotionalen Zug aufspringen, sondern nüchtern gegen Manipulation angehen? Wir sind das Salz in der Welt. Und damit wir als christliche Gemeinschaften nicht fade werden, sondern Anteil haben an den Geschicken der Welt, haben wir uns diesen Verhaltenskodex gegeben.
Frank Heinrich
Vorstand der Evangelischen Allianz in Deutschland
Christliches Engagement im politischen Diskurs: Verhaltenskodex der EAD
Aus aktuellem Anlass weisen wir auf den Verhaltenskodex der Europäischen Evangelischen Allianz aus dem Jahre 2011 hin und stellen uns als Evangelische Allianz in Deutschland hiermit ausdrücklich hinter dieses Dokument.
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