01.10.2023
„Handle nach deinem Gewissen – und du bist frei.“
Zum Heimgang von Pfarrer Uwe Holmer (1929–2023)
Uwe Holmer
© Johannes Holmer (privat)
Es kommt vor, dass jemand ins Rampenlicht gerät – aber nicht unbedingt für das, was das Wichtigste an seinem Leben ist. So wird es wohl auch bei Uwe Holmer gewesen sein. Bevor er in weiter Öffentlichkeit bekannt wurde, weil er das Ehepaar Honecker in sein Haus aufnahm, hatte er schon ganz andere Dinge erreicht. Einfach, weil er Gottes Führung und seiner Berufung gefolgt war.
Berufung: Familie, Predigt und Bibel
Berufung – vielleicht sollte man hier zunächst seine Ehe und seine Familie nennen. Mit seiner ersten Frau Sigrid hatte er zehn Kinder. In Familienleben und Christsein galt es, sich im sozialistischen Staat zu bewähren. Nicht so leicht, wenn dem Staat die Glaubenshaltung der Holmers bekannt war und die Kinder nicht zur Erweiterten Oberschule zugelassen wurden. Seine Berufung lebte Holmer aber auch als Theologe und Pfarrer. Zuerst 13 Jahre als mecklenburgischer Landpfarrer, dann 16 Jahre lang als Direktor der Bibelschule Falkenberg. In diese Zeit fiel die Möglichkeit, die Bibelschüler geistlich zu prägen. Es „sollte nicht nur eine Lehr-, sondern auch eine Lebensschule sein“, schrieb Holmer in seinen Lebenserinnerungen. Darüber hinaus war in dieser Zeit auch Raum für gediegene theologische Arbeit – und das hieß für Holmer: Arbeit an der Auslegung der Bibel. Schon zuvor war die Predigt das Herzstück seiner Arbeit als Pfarrer gewesen. Eingehendes Schriftstudium formte sich unter anderem in der Kommentierung des Ersten Petrusbriefs aus, die als ein Teilband der Reihe „Wuppertaler Studienbibel“ erschien. Blättert man durch die Seiten dieses Kommentars, fallen einem die geistlichen Herzthemen Holmers auf. Er hatte sie immer wieder zur Sprache gebracht, so zum Beispiel als beliebter Redner auf Konferenzen der Evangelischen Allianz, der er sehr verbunden war. Und nun auch in seiner Bibelauslegung. In den Fußnoten zu Holmers Erläuterungen stößt man immer wieder auf die Themen Seelsorge, Evangelisation, Predigt sowie die Notwendigkeit von Bekehrung und Wiedergeburt. Evangelisation lag Holmer schon längst am Herzen, nicht zuletzt in Verbindung mit der Arbeit von Dr. Werner de Boor, der auch Herausgeber der Wuppertaler Studienbibel war. Doch nicht nur theologische Schwerpunkte, sondern auch Charakterzüge Holmers leuchten aus dem Bibelkommentar hervor. Einer davon muss die Demut gewesen sein: Holmer teilte sich die Auslegung der Petrusbriefe mit de Boor – und in seinem Vorwort zum Kommentarband geht er ausschließlich auf den Beitrag de Boors ein und stellt seinen eigenen Kommentar nicht in den Vordergrund.
Diakonieleiter und Bürgermeister
Von 1983 bis 1991 leitete Holmer dann das diakonische Werk der Lobetaler Anstalten. Menschen mit verschiedensten geistigen Behinderungen waren nun seine Umgebung. Doch auch darüber hinaus wirkte er, nämlich als Bürgermeister des Ortes Lobetal. In diese Zeit fiel ein Ereignis, das den inneren Kompass des Pfarrers deutlich zeigt. Schweren Herzens war er damals in die Ost-CDU eingetreten – um sich als Bürgermeister einige politische Handlungsfreiheit zu sichern. Zum 8. Mai 1985 wurde er zu seinem Diskussionsbeitrag genötigt. Wie soll man da sprechen? Ohne sich zum Handlanger der DDR-Politik zu machen? Aber auch ohne Porzellan zu zerschlagen, was die diakonische Arbeit dann erschweren würde? Die Lösung fand sich, als Holmer sich auf seinen Grundsatz besann: „Handle nach deinem Gewissen – und du bist frei.“ Und so sagte er, was er dachte. Sprach davon, wie er zuallererst Gott verpflichtet sei. Redete klug und differenziert über den Staat, in dem er lebte. Und schloss die Rede mit evangelistischer Zuspitzung. So wie er übrigens auch seine 2009 erschienene Biografie mit einem evangelistischen Kapitel abschloss – er wollte eben Menschen für Christus gewinnen.
Frei für die Barmherzigkeit
In die Lobetaler Zeit fiel dann auch das Ereignis, das Holmer weithin berühmt machte: die gastliche Aufnahme des obdachlos gewordenen Ehepaares Honecker im Jahr 1990. Eine Entscheidung, die auch bei vielen Mitchristen auf Unverständnis stieß. Aber auch hier handelte Holmer nach seinem Gewissen – und war frei. Frei für dieses Werk der Barmherzigkeit. Der Schauspieler und Regisseur Jan Josef Liefers verfilmte diesen Abschnitt aus dem Leben von Holmer und seiner Familie 2022. Er erinnert sich: „Ich empfinde Freude darüber, einem Mann begegnet zu sein, der sein Handeln unbeirrbar an seinem Glauben ausrichtete und in einem heiklen Moment nicht auf Opportunität oder mögliche Nachteile für sich achtete. In unseren letzten Gesprächen über den Tod, der für ihn kein Ende, sondern der Vorstellung vom ewigen Leben nach bestenfalls die Änderung eines Aggregatzustandes darstellte, erkannte ich, dass er auch in den letzten Stunden seines irdischen Lebens ruhig und fest Kurs hielt.“ Bewährt hatte Holmer diese Ausrichtung schon lange zuvor. Was ihn in einer späten Lebensphase berühmt machte, war nur eine Konsequenz seiner Lebenshaltung. Im Alter von 94 Jahren ist er – nach einer Witwerzeit, einer zweiten Ehe und einer Arbeit in einer Suchthilfeeinrichtung – im September dieses Jahres heimgegangen.
Dr. Ulrich Wendel ist Chefredakteur des Magazins Faszination Bibel – und arbeitet gern mit der Wuppertaler Studienbibel