05.08.2022

Allianzkonferenz 2022: „Kern des Evangeliums ist Versöhnung“

Eberhard Jung im Gespräch mit Norbert Schäfer (pro)

Ein Beitrag vom PRO-Medienmagazin

Eberhard Jung

Eberhard Jung ist Vorsitzender des Arbeitskreises Frieden und Versöhnung der Evangelischen Allianz in Deutschland. Im Gespräch mit PRO erklärt er, warum er Potenzial in einer feministischen Außenpolitik sieht und selber in einem Dilemma steckt.

PRO: Was will der Arbeitskreis Frieden und Versöhnung der Evangelischen Allianz erreichen?

Eberhard Jung: Leider nehmen Frieden und Versöhnung im Bewusstsein von Christen kaum Raum ein. Wenn man sich allein anschaut, wie viel Konfliktpotenzial innerhalb und zwischen Gemeinden und Konfessionen vorhanden ist, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass selbst die Christenheit nicht wirklich versöhnt lebt. Bei vielen Themen sind sich Christen gar in herzlicher Abneigung verbunden.

Wenn wir als Christen nicht als Botschafter der Versöhnung wahrgenommen werden, dann ist das für das Evangelium kontraproduktiv. Denn der Kern des Evangeliums ist Versöhnung. Jesus versöhnt durch seinen Tod die Menschen mit Gott. Es geht uns darum, den Friedens- Versöhnungsgedanken in die Ortsallianzen hineinzutragen.

Wie sieht das konkret aus?

Gemeinden und Kommunen haben gemeinsame Probleme. Wir sind eine multiethnische und multikulturelle Gesellschaft geworden, und das werden wir auch bleiben. Das gilt auch für die Gemeinden. Das birgt viel Konfliktpotenzial. Dann ist die Frage: Wer kümmert sich darum, dass es zu einem friedlichen und versöhnten Zusammenleben all dieser Menschen in einem Stadtviertel oder einer Kirche kommt? Da können sich Christen einbringen und Räume schaffen, wo Menschen die Möglichkeit haben, einfach einander zuzuhören.

Denn je besser ich verstehe, woher ein Mensch kommt, was ihn geprägt hat, was seine Ängste, seine Nöte, aber auch was seine Hoffnungen sind, umso handlungsfähiger sind wir, ein versöhntes und gedeihliches friedvolles Zusammenleben auf die Beine zu stellen. Wir möchten Menschen dazu bringen, miteinander zu reden statt übereinander. Das ist ein Kerngedanke von Versöhnung. Und das ist ja schon für viele Christen eine echte Herausforderung.

Dann gibt es erste konkrete Planungen dafür, Versöhnungshäuser zu bauen. Damit soll der Gedanke von Mehrgenerationenhäusern kombiniert werden mit der Idee, als Gemeinde im unmittelbaren sozialen Umfeld, im eigenen Viertel, sichtbar und aktiv zu werden. Es geht darum, wie christliche Gemeinden von Menschen wahrgenommen werden und wie sie mit ihnen in Kontakt und in Beziehung treten können. Derzeit planen wir erste Versöhnungstage mit Gemeinden in Nagold und in Augsburg. An dem Versöhnungstag wollen wir öffentliche Personen, Politiker und Gemeinden miteinander bekannt machen.

Engagiert sich der Arbeitskreis in einer Weise bei der Hilfe im Ukraine-Krieg?

Es gibt eine ganze Reihe von Gemeinden, die sich hier um ukrainische Flüchtlinge kümmern. Unser Netzwerk für Frieden und Versöhnung finanziert den Druck von ukrainischen christlichen Kinderbüchern. Wir unterstützen eine Mitarbeiterin finanziell, die in der Ukraine Menschen mit Kriegstraumata behandelt. Und wir leisten finanzielle Hilfe bei der Logistik, um Menschen aus der Krisenregion herauszubringen.

Wir stellen uns aber auch bereits die Frage, was erforderlich sein wird, wenn dieser Krieg vorbei ist, damit die derzeitigen Gegner wieder miteinander sprechen können. Was muss dafür geschehen? Das Drama ist, dass in dem Konflikt auch Christen auf Christen schießen.

Sie betonen die Sprachfähigkeit. Wie bewerten Sie diese Fähigkeit im Hinblick auf westliche Politiker beim Ukraine-Krieg?

Ich sehe viel Hilflosigkeit. Auch Aktionismus, der eher innenpolitische Wirkung hat und im Grunde mehr Stärke zeigen soll, als dass wirklich ein konkreter Beitrag zur Lösung des Problems geleistet würde. Dass Putin sich die Sanktionen nicht so einfach gefallen lässt, sondern auch auf seine Stellschrauben schaut, an denen er drehen kann, darf doch nicht überraschen.

Dann erleben wir – wie bei Corona – eine Polarisierung im Sinne von Schwarz und Weiß. Richtig, falsch. Gut, böse. Um den Konflikt zu lösen, müsste viel differenzierter hingeschaut werden. Dass das Verhalten von Putin nicht zu rechtfertigen ist, da sind wir uns einig. Trotzdem würde es lohnen, noch mal genauer hinzuschauen, um den Konflikt auch geschichtlich zu verstehen.

Differenzieren mag gut und schön sein. Aber Patriarch Kyrill rechtfertigt den Krieg, den Putin gegen Glaubensgeschwister in der Ukraine führt. Hat der Mann einfach „nicht alle Tassen im Schrank“?

Salopp gesagt ist diese Formulierung legitim. Aber ich glaube, indem wir uns – so verständlich das umgangssprachlich ist – auch in der öffentlichen Kommunikation in der Wortwahl immer wieder vergreifen und eine respektlose Kommunikation über die andere Partei führen, bleiben wir Teil des Problems und werden nicht zum Teil einer Lösung.

Ich erinnere mich an ein Interview mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt in der großen Nachrüstungsdebatte in Europa. Schmidt sagt sinngemäß, dass nach seiner Analyse die Politik der Russen von Angst getrieben werde. Ich habe sehr bedauert, dass keiner der Diskussionsteilnehmer Helmut Schmidt gefragt hat: Warum machen wir denn dann keine Politik, um den Russen die Angst zu nehmen? Der springende Punkt ist, zu verstehen, was die Handlungsgrundlage des anderen ist.

In der Außen- und Sicherheitspolitik haben sich „Wandel durch Handel“ und eine Haltung der Milde gegenüber Russland als Fehler erwiesen. Halten Sie Politik auf der Grundlage der Bergpredigt nicht für naiv?

Ich kann von keinem Politiker erwarten, der mit der Bergpredigt nichts anfangen kann, auf dieser Grundlage Politik zu betreiben. Wir sind nicht in einem Gottesstaat. Ich würde mir aber wünschen, dass bei dem einen oder anderen Politiker, der Christ ist, mehr vom Geist der Bergpredigt in den politischen Entscheidungen sichtbar würde. Das vermisse ich.

Ich kann aber keine wirkliche Antwort auf Ihre Frage geben. Ich habe den Kriegsdienst verweigert und bin im Rahmen meiner Möglichkeiten sehr pazifistisch gestimmt. Ob ich den Pazifismus durchhalte, wenn mich jemand totschlagen will, weiß ich nicht. Ich empfinde nicht das Recht, jetzt den Menschen in der Ukraine zuzurufen: „Ergebt euch, ihr dürft euch nicht verteidigen!“ Das ist ganz, ganz problematisch. Ich finde es aber auch problematisch, dass sie zurückschießen – und Menschen töten. Ich habe für das Dilemma keine Lösung.

Die Friedensbemühungen von Männern und ihre Außenpolitik, das wissen wir, sind in der jüngeren Geschichte zweimal grandios gescheitert. Sehen Sie ein Potenzial darin, wenn Außen- und Friedenspolitik durch die Ampelkoalition in Zukunft feministischer werden?

Ich glaube, es liegt eine große Chance darin, dass wir aus einer männerdominierten Politik herauskommen. Wenn ich den Schöpfungsgedanken richtig deute, sind Mann und Frau auf Ergänzung hin geschaffen. Nicht nur biologisch, sondern auch psychologisch. Ich glaube, dass Frauen manche Dinge besser können als Männer. Und dass wir Männer manche Dinge besser können als die Frauen. Wir sind klug beraten – besonders in frommen Kreisen – dieses Gegeneinander zu begraben und zu einem echten Miteinander zu kommen. Das heißt auch zu akzeptieren, dass in bestimmten Situationen Frauen Dinge besser führen und kommunizieren können, als das Männer tun.

Und ich nehme auch das biblische Buch Prediger ernst. Da steht: „Alles hat seine Zeit.“ Ja, die Herrschaft der Männer hatte ihre Zeit, und die Herrschaft der Frauen hat ihre Zeit. Wir sind in einer Umbruchsituation, die noch nicht abgeschlossen ist. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich es beachtlich finde, wie wacker Annalena Baerbock ihren Job als Außenministerin erledigt, auch wenn ich politisch nicht mit allem einverstanden bin. Über alle Skepsis hinaus macht sie das besser als erwartet. Und ich find’s gut.

Vielen Dank für das Gespräch.

(Quelle:

PRO-Medienmagazin www.pro-medienmagazin.de/kern-des-evangeliums-ist-versoehnung)