02.05.2016

Christival vom 4. bis 8. Mai 2016

Wie man junge Christen begeistert - idea-Interview mit Karsten Hüttmann

Christival vom 4. bis 8. Mai 2016

Wie man junge Christen begeistert - idea-Interview mit Karsten Hüttmann

Es ist eines der größten Treffen für junge Christen in Deutschland: das Christival. Vom 4. bis 8. Mai kommen in Karlsruhe 14.000 junge Christen zusammen, um gemeinsam zu feiern, zu beten und zu diskutieren. Was bewegt sie derzeit am meisten? Darüber sprach idea-Redakteur Karsten Huhn mit dem Vorsitzenden des christlichen Jugendkongresses, Karsten Hüttmann.

idea: Herr Hüttmann, wie reißt man Jugendliche heute vom Hocker?

Hüttmann: Mit Beziehungen und qualitativ guten Angeboten: Musik, Show und eine originelle Darbietung sind wichtig. Ob mir das gefällt oder nicht – es ist so.

idea: Musik und Show – wo bleiben die Inhalte?

Hüttmann: Wer richtig gut ist, bringt Form und Inhalt so gut zusammen, dass seine Ansprache unterhaltsam und zugleich interessant ist. Unterhaltungskünstler in der säkularen Szene wie Mario Barth halten 90 Minuten einen Monolog und füllen damit ganze Stadien.

idea: Müssen Christen also vom Komödianten Mario Barth lernen?

Hüttmann: Von ihm können wir tatsächlich viel lernen. Die Gefahr dabei ist natürlich, dass das Äußere die Inhalte überragt.

idea: Was kann Barth, was Pastoren nicht können?

Hüttmann: Barth hat ein Gespür dafür, Alltagsbegegnungen so wahrzunehmen und darzustellen, dass es lustig wird und man oft hinter dem Witz noch etwas daraus lernen kann.

idea: Was sind die Alltagsthemen, die Jugendliche interessieren?

Hüttmann: Soziologen sagen ja, dass es „die“ Jugend heute nicht mehr gibt. Sie teile sich vielmehr in zahlreiche Milieus auf. Die Fragen nach Zukunft, Beruf und Partnerschaft sind heute ebenso wichtig wie die nach dem Zusammenleben mit anderen, etwa mit den Flüchtlingen, die jetzt zu uns gekommen sind.

Muslime haben noch religiöses Interesse

idea: Gibt es Gott? Was ist der Sinn des Lebens? Was kommt nach dem Tod? Diese Fragen haben Sie nicht genannt.

Hüttmann: Weil ich den Eindruck habe, dass sie bei deutschen Jugendlichen auf sinkendes Interesse stoßen. Im Osten bilden areligiöse Menschen die Mehrheit, bei ihnen spielt die Frage fast keine Rolle mehr. Im Westen gibt es noch eine gewisse christliche Tradition, aber auch dort lässt das Interesse für religiöse Fragen nach. Anders sieht das bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus, von denen viele Muslime sind. Für sie ist die Existenz Allahs eine Tatsache.

idea: Christliche Jugendliche sind in ihrer Klasse häufig auch im Westen in der Minderheit.

Hüttmann: Das ist für Jugendverbände wie den CVJM die große Herausforderung! Unser Ziel ist es natürlich, dass Jugendliche wieder nach Gott fragen und ihr Leben für ihn öffnen. Der christliche Glaube gibt ein positives Lebensgefühl, er ist lebensbejahend, unterstützend. Wir wollen erklären, warum es wichtig ist, an Gott zu glauben, sowohl fürs Diesseits als auch fürs Leben nach dem Tod. Und wir wollen zum Vertrauen einladen und zum Glauben ermutigen.

Wenn der Glaube nur noch ganz nett ist

idea: Der christliche Glaube ist für die meisten Jugendlichen heute ganz nett, aber nicht zwingend notwendig.

Hüttmann: Genau. Der Glaube ist weitgehend bedeutungslos geworden, er ist eine Option unter vielen geworden. Deshalb wollen wir die Bedeutung des Glaubens, die über das jetzige Leben hinausgeht, deutlich machen – verständlich, einladend und durchaus auch unterhaltend und humorvoll. Ich denke, dass Humor eines der besten Mittel ist, um Vorurteile gegen den christlichen Glauben zu überwinden. Wir fragen uns ständig, wie das am besten gelingen kann.

idea: Hat der CVJM eine Antwort gefunden?

Hüttmann: Ja und nein. Wir ermutigen auf jeden Fall junge Menschen zum Beispiel vermehrt dazu, sich selbst mit der Bibel zu beschäftigen, die Bibeltexte zu diskutieren und vor allem ihre Fragen zu stellen.

Bibelhäppchen fürs Smartphone

idea: Lesen ist bei den meisten Jugendlichen total out. Sie schauen selbst kaum noch in Zeitschriften hinein.

Hüttmann: Das ist richtig. Wenn man Jugendlichen heute eine Bibel in die Hand drückt, sind viele erst mal von der Fülle überfordert. Empfehlenswert ist es, Jugendliche zunächst an kürzere Textpassagen heranzuführen und nicht gleich das ganze Buch rüberbringen wollen. Zudem müssen wir mehr Bibelangebote für Internet und Smartphone -machen.

idea: Welche Angebote empfehlen Sie?

Hüttmann: Auf diesem Gebiet sind wir noch in der Testphase. Ich halte z. B. die „Bibel-App für Kinder“ für sehr gelungen.

idea: Welche eiserne Ration an Bibeltexten sollten Jugendliche drauf haben?

Hüttmann: Am leichtesten fällt der Zugang zu den Evangelien und zu den Geschichten im Alten Testament. Immer dort, wo es um Konflikte, um Leben und Sterben geht, sind Jugendliche hellwach. Am existenziellsten und schmerzhaftesten ist sicher die Geschichte von Jesu Kreuzigung und die Frage: Warum lässt sich jemand freiwillig hinrichten?

idea: Und warum?

Hüttmann: Es ist ein Beweis der Liebe Gottes zu uns Menschen. Im Sterben Christi nimmt Gott unseren Tod auf sich.

Wie lange reicht mein Akku?

idea: Die Hauptfrage für Jugendliche dürfte heute eher sein: Wie lange reicht der Akku meines Handys …

Hüttmann: … und wo gibt es WLAN? Das sind die zwei wichtigsten Grundbedürfnisse vieler junger Menschen.

idea: Wie schaffen Sie es, dass Ihre Zuhörer den Blick vom Bildschirm lösen und Ihnen zuhören?

Hüttmann: Indem ich Geschichten erzähle – aus der Bibel, Geschichten von Freunden oder auch aus meinem eigenen Leben.

Ich wäre gerne Soldat geblieben

idea: Sie waren als Zeitsoldat bei der Bundeswehr und in Somalia im Einsatz. Anschließend studierten Sie Theologie. Wie kam es dazu?

Hüttmann: Ich bin areligiös erzogen worden. Obwohl ich getauft und konfirmiert bin, spielte der Glaube in unserer Familie keine Rolle. Die Gottesdienste bei uns auf dem Dorf empfand ich als nichtssagend. Durch Freunde wurde ich mit Anfang 20 Christ, weil sie mir Antworten auf meine Fragen geben konnten. So fand ich Gott. Während der Zeit bei der Bundeswehr tauchte in mir die Frage auf, ob Gott von mir will, dass ich auf Dauer Soldat bin. Ich wäre gerne noch Soldat geblieben, hatte aber aufgrund eines Erlebnisses eine innere Gewissheit, dass Gott etwas anderes mit mir vorhat.

idea: Die Teilnehmerzahlen beim Christival sind rückläufig: 1996 in Dresden kamen 30.000 Dauerteilnehmer, 2002 in Kassel waren es 22.000, 2008 in Bremen noch 18.000 und für Karlsruhe werden 14.000 Gäste erwartet. Woran liegt es, dass weniger junge Christen zu diesem Kongress kommen?

Hüttmann: Ich sehe als die wichtigsten Gründe den Geburtenrückgang, den Rückgang des christlichen Glaubens besonders in der jüngeren Generation und zuletzt, dass das Angebot für Jugendliche heute viel größer als vor 20 Jahren ist.

Wann ist ein Jugendkreis stark?

idea: Viele Seminarangebote beim Christival beschäftigen sich mit der Frage, wie der christliche Glaube an andere weitergegeben werden kann.

Hüttmann: Mit einem Kollegen habe ich vor drei Jahren untersucht, was erfolgreiche Jugendvereine ausmacht. Der Schlüssel waren gute Beziehungen sowohl der Teilnehmer zu ihren nichtchristlichen Freunden als auch zwischen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Ohne Freundschaften machen Plakate und Faltblätter für christliche Veranstaltungen keinen Sinn. Jugendarbeit ist Beziehungsarbeit. Die 90 Minuten Jugendkreis sind nur ein Teil davon.

idea: Was unterscheidet starke von schwachen Kreisen noch?

Hüttmann: Kennzeichen starker Jugendkreise ist zum Beispiel die enge Anbindung an die Ortsgemeinde verbunden mit der Freiheit, das Programm oder auch die Räume zu gestalten. Ein weiteres Merkmal sind ehemalige Jugendleiter, die als Mentoren die Jugendleiter begleiten und unterstützen. Die Arbeit dieser Mentoren macht Jugendgruppen stark. Wichtig sind auch Freizeiten. Viele Jugendliche ohne christlichen Hintergrund werden durch die Erfahrung von Freundschaft und Gemeinschaft in Verbindung mit verständlichen Inhalten Christ.

Flüchtlinge verändern die Jugendarbeit

idea: Thema Nr. 1 in Deutschland ist derzeit die Integration von Flüchtlingen. Wie verändern sich dadurch die CVJM-Vereine?

Hüttmann: Viele unserer Ortsvereine bieten Sprachkurse an und machen Sportangebote. Wir sind den Flüchtlingen in ihrer physischen Not begegnet, nun beschäftigt uns die Frage, wie wir ihnen in ihrer geistlichen Not begegnen können. Bei vielen muslimischen Flüchtlingen nehme ich ein Vakuum wahr: Sie glauben an Allah, aber sie leben in Distanz zu dem Islam, den sie kennengelernt haben. Ich wurde von Muslimen mehrfach gefragt: Sind Sie Christ? Muslime wissen, dass Deutschland ein christliches Land ist, und sie haben viele Fragen an uns.

idea: Mehrere Bischöfe haben davor gewarnt, Flüchtlinge als „Missionsobjekte“ zu missbrauchen.

Hüttmann: Das tue ich auch nicht. Aber wir dürfen auch nicht den Fragen von Muslimen ausweichen. Ich fände es nicht redlich, wenn ich ihnen meinen Glauben, also das, was mir wichtig ist, vorenthielte.

idea: Beim letzten Christival 2008 in Bremen gab es Demos gegen ein Seminar zum Thema „Homosexualität verstehen – Chance zur Veränderung“. Diesmal steht das Thema nicht auf dem Programm. Wollten Sie den Konflikt umgehen?

Hüttmann: Wenn es ihn gäbe, würden wir ihn nicht umgehen. Aber es hat sich niemand gemeldet, der so ein Seminar anbieten wollte, und wir hatten auch keine entsprechenden Nachfragen. Es gab übrigens 2008 lediglich vier Anmeldungen für dieses Seminar. Es ist wohl eher ein Thema für die Seelsorge im Eins-zu-eins-Gespräch.

Der Gender-Streit

idea: Neu im Programm ist ein Seminar zum Thema „Der Gender-Streit“. Wie würden Sie diesen Streit schlichten?

Hüttmann: Die Bibel unterscheidet klar zwischen Mann und Frau – und die Mehrheit der Menschen lässt sich den beiden Geschlechtern eindeutig zuordnen. Dass es auch Formen dazwischen gibt, etwa Transsexuelle, ist mir bewusst. Damit müssen wir seelsorglich umgehen.

Dürfen Christen noch Currywurst essen?

idea: Aufregung gibt es wegen der Teilnahme der Tierschutzorganisation „PETA“. Der Bauernverband Schleswig-Holstein kritisierte, die Organisation setze Mensch und Tier gleich und missbrauche das Christival für seine Zwecke.

Hüttmann: Wir haben darüber diskutiert, ob wir PETA und ihre Kampagne „Christen für Tiere“ zulassen. Ich finde es gut, wenn sich Christen etwa mit der Massentierhaltung auseinandersetzen. Zum Beispiel schreibt der Apostel Paulus, dass die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt und sich nach Erlösung sehnt (Römer 8,22ff.). Dazu gehören auch die Tiere. Was bedeutet das für unseren Umgang mit Tieren? Uns ist die Problematik der Organisation bewusst – und wir schauen genau hin. Christen dürfen aber weiterhin auch eine Currywurst essen.

idea: Was nehmen die Jugendlichen vom Christival idealerweise mit nach Hause?

Hüttmann: Das Christival-Motto lautet „Jesus versöhnt“. Wir hoffen also, dass vom Christival viele Botschafter der Versöhnung ausgehen.

idea: Vielen Dank für das Gespräch!

Karsten Hüttmann ist Vorsitzender von Christival e.V. und arbeitet seit 2015 im CVJM-Gesamtverband (Kassel) als Leiter des Referats für missionarisch-programmatische Arbeit. Zuvor war er 14 Jahre im Jugendverband „Entschieden für Christus“ (EC) aktiv. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Das Christival ist ein christliches Jugendfestival, das von evangelischen Landes- und Freikirchen getragen wird. Die Veranstaltung findet alle sechs bis acht Jahre statt. In Karlsruhe sind knapp 500 Einzelveranstaltungen sowohl in der dm-Arena sowie an vielen Orten in der Stadt geplant. Unter dem Motto „Jesus versöhnt“ soll gearbeitet, gebetet und gefeiert werden. Angeboten werden ein Eröffnungs- und ein Abschlussgottesdienst, Bibelarbeiten, Seminare, Nachtprogramme, Sportangebote sowie eine Infomeile mit mehr als 120 Ausstellern. Daneben gibt es ein Begegnungsprogramm mit der Karlsruher Bevölkerung.