10.11.2014

WEA: Warum sich Evangelikale auch politisch engagieren

Evangelikale und Katholiken waren sich noch nie so nah

WEA: Warum sich Evangelikale auch politisch engagieren

Evangelikale und Katholiken waren sich noch nie so nah

Dresden (idea) – Die evangelikale Bewegung öffnet sich zunehmend für den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche und den Orthodoxen. Außerdem engagieren sich die Evangelikalen nicht nur in ihren traditionellen Arbeitsfeldern Mission und Evangelisation, sondern zunehmend auch in der gesellschaftlichen und politischen Anwaltschaft für Arme, Ausgestoßene und religiös Verfolgte. Grundlage ist ein biblisch begründeter ganzheitlicher Ansatz, der den Einsatz für Heil und Wohl der Menschen als untrennbar erachte. Das sagte der scheidende Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA), Geoff Tunnicliffe (Vancouver/New York), der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Er nimmt als Gast an der EKD-Synode teil, die vom 9. bis 12. November in Dresden tagt. Der Kanadier amtiert seit 2005 an der Spitze der WEA, die nach seinen Angaben inzwischen rund 650 Millionen Evangelikale repräsentiert. Sie sei damit die zweitgrößte christliche Organisation nach der römisch-katholischen Kirche mit 1,2 Milliarden Mitgliedern. Wie er betonte, sind Evangelikale schon immer diakonisch tätig gewesen, etwa im Aufbau von Schulen und Krankenhäusern. Der Einfluss der Allianz etwa bei den Vereinten Nationen habe „bemerkenswerte Ausmaße“ angenommen. Evangelikale engagierten sich zum Beispiel im Kampf gegen Aids und Menschenhandel sowie für Flüchtlinge und die 50 Millionen Kinder, die keinen Zugang zu öffentlichen Schulen hätten. Gleichzeitig sei den theologisch konservativen Protestanten klar, dass eine grundlegende Änderung nur durch Hinwendung einzelner Menschen zu Christus geschehen könne.

„Neue Ära“ im Dialog mit „Rom“

Im Dialog mit der römisch-katholischen Kirche ist laut Tunnicliffe eine „neue Ära“ angebrochen. Seit der Gründung der Allianz im Jahr 1846 seien die Kontakte noch nie so intensiv gewesen. So sei er mit Allianz-Vertretern mehrfach zu offiziellen und informellen Treffen mit den Päpsten Benedikt XVI. und Franziskus zusammengetroffen. Bei der letzten Begegnung im Oktober habe man beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzurichten, um gemeinsame Anliegen auszuloten. Dazu gehöre etwa der Einsatz für Religionsfreiheit. In ethischen Fragen, etwa zu Familienthemen, gebe es große Übereinstimmungen. Man arbeite aber auch an einem „robusten“ theologischen Dialog, wobei hier und in Kirchenfragen weiterhin erhebliche Differenzen bestünden. Papst Franziskus sei aber bereits als Kardinal in seiner argentinischen Heimat regelmäßig zu Gebet und Austausch mit evangelikalen Leitern zusammengetroffen, so Tunnicliffe.

Kontakte zu Orthodoxen

Auch zu orthodoxen Kirchen bestünden Kontakte, etwa zum Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. (Istanbul), dem Ehrenoberhaupt von weltweit rund 300 Millionen orthodoxen Christen. Hier rückten Fragen der Religionsfreiheit und der Christenverfolgung in den Mittelpunkt. So seien im Irak und Syrien besonders orthodoxe Christen dem Terror des „Islamischen Staates“ ausgesetzt. Es wäre eine Tragödie, wenn das Christentum gerade in seinen Ursprungsländern ausgelöscht werde, so der Allianz-Generalsekretär. Er appelliert an Christen, ihre Beziehungen zu gemäßigten Muslimen zu verstärken, um Radikalisierungstendenzen entgegenzuwirken.

Namenschristentum auch bei Evangelikalen

Tunnicliffe äußerte sich auch zur Situation der evangelikalen Bewegung. Einerseits habe sie gerade im Süden der Erdhalbkugel ein enormes Wachstum aufzuweisen, andererseits stelle er mit Sorge fest, dass sich nicht nur in westlichen Ländern ein „Namenschristentum“ ausbreite, dem es an geistlichem Leben mangelt. Tunnicliffe unterstrich in diesem Zusammenhang die Bedeutung, authentisch als Christ zu leben. Evangelikale sollten einander auch bei Differenzen mit Respekt begegnen. Dies sei beispielsweise im Meinungsaustausch über das Internet wichtig. So sollten sie in Sozialen Medien auf Verleumdungen verzichten.

Internationales Netzwerk christlicher Politiker

Tunnicliffe legt das Amt zum Jahresende nieder, um sich Aufgaben als „internationaler Netzwerker“ zu widmen. So will er Medien, Wirtschaftsunternehmen und Politiker beraten und zusammenführen, die sich um die Förderung christlicher Werte bemühen. Er ist beispielsweise im „First Step Forum“ (Forum Erster Schritt) engagiert. Zu dieser lockeren Verbindung von etwa 25 Politikern und Wirtschaftsführern gehören laut Tunnicliffe unter anderen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und der frühere norwegische Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik von der Christlichen Volkspartei. Das Netzwerk setzt sich unter anderem für die Förderung von Religionsfreiheit ein. Wie Tunnicliffe sagte, wächst in der internationalen Politik die Erkenntnis, dass Religion dort eine bedeutende Rolle spielt. Zum einen werde sie als Vorwand missbraucht, um Konflikte zu schüren, andererseits könnten Religionsgemeinschaften aber auch zur Beilegung und Versöhnung beitragen.