14.10.2012
11. Tagung des PerspektivForums Behinderung beendet
Grußwort von Hartmut Steeb
11. Tagung des PerspektivForums Behinderung beendet
Grußwort von Hartmut Steeb, Stuttgart, zur Eröffnung:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
herzlich willkommen zur Tagung des European Disability Network und des PerspektivForum Behinderung der Deutschen Evangelischen Allianz, hier auf dem Schönblick. Ich freue mich ganz persönlich, dass es geklappt hat. Aber ich möchte auch ganz bewusst seitens der Deutschen Evangelischen Allianz hier Sie alle herzlich willkommen heißen. Ich möchte ganz besonders die begrüßen, die aus dem Ausland gekommen sind. Welcome to our guest in other language. Thanks for coming a long distance.
Wir freuen uns sehr, dass wir hier im europäischen Kontext zusammen gekommen sind. Gerne hätten wir auch Gäste aus Afrika bei uns gehabt. Aber leider hat aber die Deutsche Botschaft in Nairobi Abdikarim Issack Jirrow aus Kenia keine Einreise gewährt. Es ist schade, dass auch unser direktes Schreiben an die Botschaft keine Sinnesänderung gebracht hat. Ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn ich ihm noch einmal schreibe und von hier aus grüße.
„Begabt, behindert, berufen“ ist das Thema dieser Tagung, über das der Vorbereitungskreis lange nachgedacht hat und dann genau so formuliert. Und ich möchte euch allen aus diesem Team herzlich danken, dass Ihr euch so viel Mühe gegeben habt. Danke für eure Zeit und Kraft, die Ihr in die Überlegungen und Vorbereitungen gesteckt habt.
<h6>„Begabt“ </h6>
Liebe Freunde, dieses Stichwort sagt alles aus! Keiner von uns ist deshalb hier, weil er sich selbst entschlossen hätte, in dieses Leben einzutreten. Unser aller Leben ist ein Geschenk. Oder hat sich einer von euch selbst dafür entschieden? Mir ist das sehr wichtig, dass wir endlich wahrnehmen: Die wichtigste Entscheidung unseres Lebens hat keiner von uns selbst getroffen! Es ist gerade deshalb auch wichtig, dass wir die übertriebenen Betonung des selbstbestimmten Lebens entmythologisieren. Wir haben uns alle plötzlich im Leben vorgefunden, weil andere für uns entschieden haben, dass wir leben sollen. Und das gilt mindestens in zweifacher Hinsicht:
Menschlich gesprochen haben irgendwann unsere Eltern zu uns ja gesagt, im Idealfall haben sie sich von Anfang an auf uns gefreut. Vielleicht waren sie auch erst geschockt als die Nachricht von der Schwangerschaft kam, vielleicht auch widerwillig. Wer weiß das schon? Ich bin jedenfalls in einer Generation geboren, in der man seine Eltern nicht gefragt hat, ob man Wunschkind oder eben nicht Wunsch-Kind ist. Und ich denke, dass das letztlich auch gar nicht so wichtig ist. Das werde ich gleich noch erklären.
Aber es ist so: Meine Mutter und eure Mütter haben sich nicht wie mehr als 100.000 jedes Jahr in unserem Land für eine Abtreibung und für die Tötung des in ihr heranwachsenden Kindes entschieden. Sie haben ja gesagt zu diesem Leben. Sie waren bereit es auszutragen. - Ich füge gerne und mit Überzeugung in Klammer aber hinzu: Die meisten der über 100.000 Mütter würden auch heute ihre Kinder austragen, wenn sie dabei von Ihren männlichen Partnern unterstützt würden, von den Eltern, von ihren Familien, von ihren Gemeinden, von den Ärzten und vom gesellschaftlichen Umfeld. Aber sie werden sehr oft zur Abtreibung gedrängt. Ihnen werden in einer so genannten ergebnisoffenen Beratung die Entscheidungen selbst überlassen und sie werden selbst dafür verantwortlich gemacht und häufig damit alleine gelassen. Das ist gemein und nicht selten eine Überforderung. Das ganz ist meist eine unterlassene Hilfeleistung und darüber hinaus eine Bankrotterklärung unserer Gesellschaft, weil es kein Problem ist, die Abtreibung zu finanzieren aber nicht selten ein Spießrutenlaufen Hilfen für geborene Kinder zu bekommen, die man braucht.
Wir leben, liebe Freunde, weil unsere Mutter uns ausgetragen hat. Und darum gebührt niemanden mehr Dank in dieser Gesellschaft als den Müttern, die diesen einzigartigen Dienst tun! Und darum ist der gesellschaftliche Undank gegenüber dieser Arbeit – und Geburt ist Schwerstarbeit – eine der schlimmen Katastrophen in unserer Zeit.
Aber wir leben noch viel mehr deshalb – und das ist noch wichtiger als das Ja unserer leiblichen Mütter - weil der lebendige Gott ganz offenbar unser Leben wollte und will. Er kannte uns schon, so wird es uns z.B. in Psalm 139 gesagt, bevor wir geboren wurden. Über jedem Leben von uns steht sein: Ich will dich! Ich kenne dich! Ich liebe dich!
Und selbst wenn die ganze Welt dich nicht will. Und selbst wenn es die Eltern als gemeinen Unfall ansehen, dass du geboren bist und wie du geboren bist – über dir steht das Ja Gottes zu dir und deinem Leben. Er hat dich gewollt. Er liebt dich! Und es geht kein Mensch über diese Erde, der nicht von Gott geliebt ist.
Ich bin am Samstag zum ersten Mal Tim begegnet. Er ist 15 Jahre alt. Er hat damals seine eigene Abtreibung überlebt. Als bei der pränatalen Diagnostik deutlich wurde, dass er behindert sein würde, beschlossen seine Eltern die Abtreibung, die Tötung des Kindes. Aber dies ist missglückt. Es war für alle ein Schock, dass er lebend zur Welt kam. Die Ärzte haben ihn dann einige Stunden unversorgt liegen gelassen in der offensichtlichen Hoffnung, er würde schnell sterben. Dann wäre ja alles „gut“ gewesen. Aber er hat überlebt. Und nun war er in dieser Versammlung am Samstag meist der erste, der für den Beifall und damit für eine gute Stimmung gesorgt hat. Er lebt. Er ist ganz anders als ich. Aber er ist doch genauso ein Mensch voller Würde und voller Gaben. Jeder Mensch, jedes Kind, jeder von uns begabt, ein Gottesgeschenk!
<h6>„Behindert!“ </h6>
Was ist denn „behindert“? Wer gibt denn das Maß dafür vor? Wo beginnt und wo endet Behinderung? Gewiss: Menschen sind unterschiedlich begabt – und das kann sich im Laufe eines Lebens auch ändern. Zweifellos sind z.B. Gehörlose behindert. ohne Brillen nicht richtig sehen, nicht richtig lesen. Also bin ich behindert. Manche Behinderungen werden als solche nicht sonderlich wahrgenommen. Die sieht man nicht. Aber das ist alles doch nur ein gradueller Unterschied. Die Aufgabe der Gesellschaft ist es nicht, Behinderte von nicht Behinderten oder weniger Behinderten zu unterscheiden. Die Aufgabe ist es, Menschen mit Behinderungen nicht zu diskriminieren, nicht auszusondern, nicht zu behindern! Es ist doch eine Schande, dass hier in Schwäbisch Gmünd zwar über zweihundert Millionen Euro für eine sicherlich sinnvolle Umgehungsstraße ausgegeben wird, aber Menschen im Rollstuhl wegen fehlender Einrichtungen nicht einmal am Bahnhof aus dem Zug aussteigen können. Die werden behindert.
Darum halte ich das Stichwort „Inklusion“, das derzeit die Runde macht für so richtig und so wichtig. Es geht nicht darum, dass wir Menschen mit Behinderungen integrieren sondern dass wir gemeinsam unsere Gesellschaft und unsere Zukunft gestalten. Und das gilt natürlich erst recht für die christliche Gemeinde.
<h6>„Berufen“ </h6>
Jeder Mensch hat mit seinen Gaben einen Platz in der Gesellschaft. Keiner ist überflüssig, keiner ist unbrauchbar, keiner ist nutzlos. Es ist wichtig, dass jeder seinen Platz findet. Aber noch wichtiger ist: Gott ruft jeden Einzelnen zu sich. Er will alle in seine Gemeinschaft einladen. Die Würde des Menschen beruht nicht auf seiner Leistung. Die Würde des Menschen muss man sich nicht erarbeiten. Die Würde des Menschen haben wir weil Gott uns geschaffen hat und weil Gott sein Ja zu uns sagte. Und die absolute Spitze dieser Menschenwürde ist, dass der lebendige Gott jeden Einzelnen in seine Gemeinschaft ruft. ER bietet und die Gemeinschaft an. Der ewige Gott. Er beruft jeden in seine Nachfolge.
Ein großes Arbeitsprogramm liegt in den nächsten Tagen vor Ihnen. Viele Details sind zu beraten und zu bedenken. Aber ich wünsche Ihnen, dass Sie sich nicht in den Details verlieren, auch wenn sie noch so schwierig sind, sondern diese großen Linien sehen, die Gott uns schenkt: Von IHM begabt und von IHM berufen. Darauf kommt es an.
Ich bin noch gefragt worden, warum wir uns als Deutsche Evangelische Allianz diesem Thema widmen. Es ist schon durch die kurzen Beiträge heute Abend klar geworden, dass im Blick auf die notwendige Inklusion in der Gesellschaft und in der christlichen Gemeinde eine sehr große Aufgabe vor uns liegt. Die schafft keiner allein. Die schafft keine Gemeinde allein. Das ist eine große Aufgabe, die wir nur gemeinsam bewältigen können – viele Christen aus vielen Gemeinden müssen miteinander das Bewusstsein dafür schaffen und anpacken. Darum ist das eine wesentliche und typische Aufgabe für die Evangelische Allianz. Und darum danke ich Ihnen, dass Sie gekommen sind und mitdenken, mitplanen und mitbeten. Deshalb wünsche ich Ihnen gesegnete Tage!