05.07.2012

Schweiz: ICF - Gemeinden

Ein Rockkonzert? Ein Gottesdienst!

Schweiz: ICF - Gemeinden

Ein Rockkonzert? Ein Gottesdienst!

Ein Anruf bei idea Deutschland in der Zentrale in Wetzlar: „Meine Kinder besuchen in Berlin Veranstaltungen einer ICF. Ist das eine Sekte?“ idea verspricht einen längeren Beitrag und ein Interview. Und hier ist beides von idea-Redakteur Karsten Huhn.

Was ist nun die ICF? Die 1996 in Zürich ins Leben gerufene ICF (International Christian Fellowship, auf Deutsch: Internationale Christliche Gemeinschaft) ist eine der ungewöhnlichsten Gemeindegründungen der letzten Jahre. Inzwischen gibt es in der Schweiz 19, in Deutschland 11 Gemeinden, in Österreich eine. (In der Schweiz: Zürich, Basel, Baselland (Sissach), Bern, Biel, Chur, Emmental, Genf, Langenthal, Lausanne, Luzern, Mittelland, Rapperswil, Schaffhausen, St. Gallen, Thun, Winterthur, Zug, Zürcher Oberland (Wetzikon). In Deutschland: Augsburg, Berlin (2 x), Bielefeld, Freiburg, Karlsruhe, München, Nürnberg, Paderborn, Reutlingen, Stuttgart. In Österreich: Vorarlberg.) Die neuevangelikale Bewegung beschäftigt in der Gemeinde in Zürich 60 hauptamtliche Mitarbeiter und erreicht mit ihren Gottesdiensten etwa 3.000 Besucher. Der Jahresetat beträgt 4,5 Millionen Schweizer Franken (etwa 3,8 Millionen Euro). Die ICF kennt keine Mitgliedschaft. Sie arbeitet mit der Evangelischen Allianz zusammen.

Ein Gottesdienstbesuch in Zürich, wo alles begann

In einer Halle des ehemaligen Züricher Güterbahnhofs spielt sich eine neunköpfige Band warm. Scheinwerfer strahlen auf das Podium, Bühnennebel steigt auf. Über drei Großleinwände flimmern Videos. Ein Countdown an einer Uhr zählt die Sekunden bis zum Start.

Der Meister der Zeremonie hat alles im Griff 

Sonntagmorgen, 9.30 Uhr. Gleich beginnt der erste von vier Gottesdiensten der Züricher Freikirche ICF. Ihre Gottesdienste nennt sie „Celebrations“, die Lobpreismusik heißt hier „Worship“, die Predigt „Message“. Der Liturg nennt sich „Master of Ceremony“ (Meister der Zeremonie), und konsequenterweise treffen sich die ICF-Anhänger nicht in einer Kirche, sondern in einer „Location“ (Örtlichkeit). 6.000 Quadratmeter ist das angemietete Gelände auf dem stillgelegten Güterbahnhof groß, viel Stahl, viel Holz, die Fenster sind abgeklebt. Allein die Räume für die Kinderarbeit mit Fußballkäfig, Video-Playstation, Rutsche und Bällebad sind so groß wie ein Supermarkt.

Lobpreis mit 95 Dezibel

Der Güterbahnhof ist stillgelegt? Von wegen! Das Eingangslied des ICF-Gottesdienstes ertönt mit etwa 80 Dezibel – so laut wie ein Presslufthammer. Gesungen wird auf Schwizerdütsch: „Du strahlsch über alles Gott / Zmizt i mis Härz schiinsch mir dis Wort  / Ja da isch Freiheit, ja da isch Wahrheit / Ich wot i dim Liecht stah.“ Die Lautstärke schraubt sich auf 95 Dezibel. Eine Frau, die mit ihrem Baby den Gottesdienst besuchen will, wird am Einlass abgewiesen. Ohne Ohrenschützer sei der Gottesdienst für das Baby zu laut.

Dabei nennt sich der Morgengottesdienst „Unplugged“ (etwa: „nicht in die Steckdose eingesteckt“) und gilt als vergleichsweise ruhig. Beim 11-Uhr-Gottesdienst soll es schon deutlich lauter sein – und so richtig rockig wird es am Abend, wenn die jüngeren ICF-Besucher kommen.

Wieder läuft auf einem Monitor auf der Rückseite die Zeit herunter: Noch 5 Minuten und 11 Sekunden Worship, dann folgt eine Moderation, für die 3:30 Minuten zur Verfügung stehen, mit Einladungen zum Herbstcamp, zu den Special Sunday-Celebrations (speziellen Sonntagsgottesdiensten) und zum Public Viewing der Fußball-EM im Güterbahnhof. Wer jetzt anstatt im Gottesdienstraum lieber noch mit Freunden bei einem Kaffee sitzen will, kann die Übertragung im Foyer auf einem von 8 Bildschirmen mitverfolgen.

Die Kollekte ist auch per SMS möglich

Die Kollekte wird eingesammelt. Währenddessen zeigt ein Video Waldarbeiter, die einen Baum fällen, Männer, die Motorrad fahren, Gerüstbauer, Fassadenreiniger, die sich abseilen. Und wer gerade kein Geld dabei hat, kann auch per SMS spenden, „einfach 339 wählen“.

Die ICF ist eine Kirche mit Sendungsbewusstsein. Genutzt werden alle Kanäle: Kontakt zur Gemeinde kann man über Facebook und Twitter halten, die Predigten kann man als Video im Internet herunterladen oder auf „Das Vierte“ oder Super RTL im Fernsehen anschauen.

Dann die Predigt: Hauptpastor Leo Bigger betritt die Bühne. Er trägt eine durchlöcherte Jeans, T-Shirt, Turnschuhe. Außerdem trägt er einen blauen Bauarbeiterhelm auf dem blonden Haarschopf. In der Predigt geht es heute um den Glauben am Arbeitsplatz. Wieder läuft der Countdown: Für die „Message“ sind 30 Minuten eingeplant.

Die Predigt ist locker, flockig

Bigger spricht locker, flockig und 80 Dezibel laut. Vier Gedanken will er seinen Hörern mitgeben:

1. Diene Gott am Arbeitsplatz.

2. Identifiziere dich mit deinem Job.

3. Erstrebe gute Leistungen.

4. Sei ein Ermutiger an deiner Arbeitsstelle.

Dazu zitiert er den China-Missionar Hudson Taylor, den US-Verleger Malcolm Forbes, den schottischen Olympiasieger über 400 Meter, Eric Liddell, und den Menschenrechtler und Pfarrer Martin Luther King. Zudem werden auf den Leinwänden Bibeltexte und Bilder eingeblendet, eines zeigt einen jungen Mann, der über einem Aktenberg eingeschlafen ist. Es fällt leicht, Bigger zuzuhören. Er redet frei, und nur selten tritt er an den Stehtisch, auf dem Zettel mit seinen Predigtnotizen liegen. Arbeit ist eine Form von Anbetung, sagt Bigger. Und wenn man keinen Traumjob gefunden und ständig Probleme mit dem Chef hat? „Der beste Coach in deinem Leben sind die Menschen, die dir auf den Wecker gehen“, sagt Bigger. „Das ist Gottes Art, unsere Herzen größer zu machen.“

Ist es eine Show?

Nach der Predigt geht es weiter mit Worship, 95 Dezibel, dazu wieder Videos, Popcorn für die Augen. Ist es eine Show? Ja, auch. Aber so viel spürt man: Es ist eine Show, die von Herzen kommt.

Zum Schluss hebt Leo Bigger die Hände über seine Zuhörer, „dass Gunst, Power und Segen dein Leben bestimmen“. Bigger lädt noch zum Gebet in Zweiergruppen und zum Abendmahl ein. Dann ist der Gottesdienst aus. Traubensaft und Toastbrot kann sich der Besucher am Ausgang selbst von einem Stehtisch wegnehmen. Es ist ein Abendmahl im Vorübergehen – ohne die biblischen Einsetzungsworte. Währenddessen läuft schon der Countdown: bis zum Beginn des nächsten Gottesdienstes bleiben noch knapp 20 Minuten.