24.07.2011
Norwegen: Wer war der Attentäter von Oslo?
Christen weltweit haben den Doppelanschlag von Oslo scharf verurteilt. Wie der christliche Glaube des mutmaßlichen Täters Anders B. aussieht, ist bislang unklar. Ein langes Manifest des 32-Jährigen verrät nun aber viel über seine kruden Ansichten, die kaum mit christlichen Überzeugungen zu vereinbaren sind. Es legt nahe, dass sich B. selbst als "kulturellen Christen" sieht und nicht als "religiösen".
Ein "christlicher Fundamentalist" habe den Bombenanschlag in der Osloer Innenstadt verübt und auf der Insel Utøya auf Menschen geschossen, meldeten in diesen Tagen viele Medien. Nun versuchen Polizei und Medien, ein Profil des Attentäters zu zeichnen und die Frage zu beantworten, ob er Christ war. Ein von ihm wenige Tage vor der Tat im Internet verfasstes "Manifest", das 1.500 Seiten umfasst, zeigt die krude Weltsicht des Norwegers.
Erst war am Freitag im Osloer Regierungsviertel eine Bombe explodiert und hatte mindestens sieben Menschen in den Tod gerissen. Auf der Insel Utöya nahe der Hauptstadt erschoss der Täter mindestens 85 Jugendliche. Anders Behring B. hat am Samstagabend der Polizei gegenüber ein Teilgeständnis abgelegt. Über sein Motiv habe er geschwiegen, teilte die Polizei mit. Der mutmaßliche Täter hatte sich in einem Dorf als Gemüsebauer niedergelassen. Dort hatte er sich ein Labor zur Sprengstoffherstellung eingerichtet. Offenbar hatte er sich am 4. Mai sechs Tonnen Dünger gekauft, mit dem man eine Bombe bauen kann.
Rechtsextremist, Freimaurer, Antimarxist?
Die Zeitung "Verdens Gang" zitierte einen Freund des Mannes mit den Worten, B. sei vor einigen Jahren zum Rechtsextremisten und habe in Internetforen nationalistische Ansichten vertreten. Auf seiner mittlerweile gesperrten Facebook-Seite hatte der mutmaßliche Täter angegeben, sich für Bodybuilding, konservative Politik, die Jagd und Freimaurerei zu interessieren. Er spielt das Computerspiel "World of Warcraft" und besitzt mindestens zwei registrierte Waffen.
Wie die "Christian Post" berichtet, ließ sich der Norweger offenbar im Alter von 15 Jahren protestantisch taufen, zeigte sich später aber sehr enttäuscht von der Kirche. Die protestantische Kirche müsse "zurück zur katholischen Kirche" kommen. Die Zeitung trug aus verschiedenen Internet-Foren Zitate des Norwegers zusammen. "Heute ist die protestantische Kirche ein Witz", schrieb der Norweger in einem Forum. "Priester marschieren in Jeans für Palästina, und die Kirchen sehen aus wie kleine Shopping-Center."
Auf der Webseite "Hate Theologies" (Hass-Theologien) schrieb er: "Der Islam hat historisch zu 300 Millionen Toten geführt. Der Kommunismus hat historisch zu 100 Millionen Toten geführt. Der Nationalsozialismus hat zu 6 bis 20 Millionen Toten geführt. Alle Hass-Ideologien sollten gleich behandelt werden." "Welt online" zitiert den Norweger mit der Ansicht, der Multikulturalismus und "marxistische" Politiker hätten die norwegische Kultur unterwandert. Die Norweger müssten lernen, wieder christlich und national zu denken. Der entscheidende Kampf sei nicht mehr Kapitalismus gegen Kommunismus, sondern Internationalismus gegen Nationalismus. Von 1999 bis 2006 war Anders B. offenbar Mitglied der rechtspopulistischen Fortschrittspartei (FrP).
Tempelritter ohne persönliche Beziehung zu Jesus Christus
Wenige Tage vor dem Attentat hat der Norweger ein 1.500 Seiten umfassendes "Manifest" verfasst und im Internet veröffentlicht. Wie die Nachrichtenagentur NTB am Samstagabend meldete, soll das Buch unter dem Titel "2083. A European Declaration of Indepence" unter dem Pseudonym Andrew Berwick veröffentlicht worden sein. Es handele unter anderem von "Rassenkrieg" und der Frage, wie Europa sich von Zuwanderern befreien könne. Als letzter Eintrag sei vermerkt: "Ich glaube, dies ist der letzte Eintrag, den ich schreibe, Es ist jetzt Freitag, der 22. Juli, 12.51." Etwa zweieinhalb Stunden später explodierte in der Osloer Innenstadt die Bombe. In dem englischsprachigen Manifest bezeichnete sich B. als Tempelritter. Unterzeichnet ist es mit "Arme Ritterschaft Christi und des salomonischen Tempels". Darin heißt es unter anderem: "Nicht alle Kulturen sind gleichwertig. Einige Kulturen sind besser als andere, einige sind unsere Freunde, einige unsere Feinde." Muslime und Marxisten seien dabei, die europäischen Kulturen zu unterwandern und zu zerstören, schreibt B. "Gewalt ist die Mutter des Wandels", heißt es weiter. B. listet zudem verschiedene Rezepte zur Herstellung von Sprengstoffen und Chemikalien auf.
Bezüglich seines eigenen christlichen Glaubens schreibt B. dort: "Eine Mehrheit der so genannten Agnostiker und Atheisten in Europa sind kulturelle konservative Christen, ohne es selbst zu wissen. Was also ist der Unterschied zwischen kulturellen Christen und religiösen Christen? Wenn man eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus und Gott hat, dann ist mein ein religiöser Christ. Ich und viele andere wie ich haben nicht notwendigerweise eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus und Gott. Wir glauben aber an das Christentum als kulturelle, soziale und moralische Plattform. Das macht uns zu Christen."
Christen verurteilen Attentat
Die "Weltweite Evangelische Allianz" (WEA) hat ihr "tiefstes Mitgefühl" für die Norweger ausgedrückt. Der Internationale Direktor Gordon Showell-Rogers sagte laut "Christian Today" in einer Stellungnahme: "Norwegens stark christliche Vergangenheit hat eine lange Geschichte des Friedens innerhalb seiner Grenzen mit sich gebracht. Damit war es ein wichtiger Beitrag bei den Anstrengungen, weltweit Frieden zu schaffen." Die WEA sei tief erschüttert über die Berichte, nach denen sich der mutmaßliche Täter zum christlichen Glauben bekenne. "Evangelikale Christen weltweit verurteilen religiöse Gewalt auf das Schärfste und sind entsetzt, wenn solche Gewalt im Namen Christi ausgeführt wird."
Der Generalsekretär der Europäischen Evangelischen Allianz (EEA), Niek Tramper, teilte den Norwegern ebenfalls sein Mitgefühl mit. "Wir sind erschüttert zu sehen, dass Menschen in der Lage sind, so etwas zu planen und auszuführen. Diese Gewalt kann nur als Zeichen des Bösen gesehen werden, das der Güte und der Gerechtigkeit Gottes vollkommen entgegen steht."
Auch der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, reagierte "mit Trauer und Bestürzung" auf die Nachrichten von dem Doppelanschlag. "Nichts und niemand kann solche feigen Anschläge rechtfertigen, keine politische oder religiöse Lehre können Begründung sein für diesen Akt des kaltblütigen Mordens", so Schneider. "Wir bringen unsere Trauer und unsere Fassungslosigkeit vor Gott. Wir vertrauen darauf, dass Gott die Verstorbenen beim Namen ruft, er ruft aus der Finsternis ins Licht."
Wie die Nachrichtenagentur "idea" meldet, rief der aus Norwegen stammende Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Olav Fykse Tveit, die 349 evangelischen, orthodoxen und anglikanischen Mitgliedskirchen des ÖRK mit über 560 Millionen Mitgliedern in 110 Ländern auf, für Norwegen vor Gott einzutreten. Tveit hatte gerade die Hauptstadt Oslo verlassen, als sich die Bombenexplosion im Regierungsviertel ereignete. Tveit: "Wir wollen einstehen für eine Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden herrschen, "ohne Hass und Rache, sondern mit den Werten der Demokratie, der Achtung der Würde und Rechte jedes Menschen. Alle sind als Ebenbilder Gottes geboren."
Kirchen in ganze Norwegen haben ihre Türen geöffnet, damit Menschen zum Beten und Trauern zusammenkommen können. Am Samstagabend kamen zahlreiche Menschen vor die "Domkirke" im Zentrum Oslos und stellten Kerzen auf. Von den 4,9 Millionen Einwohnern Norwegens gehören laut "idea" 82 Prozent zur lutherischen Staatskirche. Angehörige evangelischer Freikirchen machen 3,7 Prozent aus. Ferner gibt es 1,1 Prozent Katholiken, 1,6 Prozent Muslime und kleinere Gruppen anderer Religionen. Der Rest sind Konfessionslose. (pro)
VON: js | 24.07.2011