07.11.2010

Appell an Muslime: Der Gewalt gegen Andersgläubige abschwören

EKD-Ratsvorsitzender: Christen werden in manchen Ländern brutal verfolgt

Appell an Muslime: Der Gewalt gegen Andersgläubige abschwören

EKD-Ratsvorsitzender: Christen werden in manchen Ländern brutal verfolgt

Hannover (idea) – Angesichts der Christenverfolgung durch muslimische Extremisten wünscht sich der amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider (Düsseldorf), deutlichere Stimmen islamischer Theologie, die der Gewalt gegen Andersgläubige abschwören. Die EKD stelle sich an die Seite verfolgter Christen, bete für sie und nehme nach ihren Möglichkeiten politischen Einfluss, sagte er am 7. November in seinem Bericht vor der EKD-Synode in Hannover. Es sei eine „bestürzende und beklagenswerte Tatsache“, dass der christliche Glaube in Asien, auf der arabischen Halbinsel und anderswo oft mit brutaler Gewalt verfolgt werde. Nach einer blutigen Geiselnahme in einer katholischen Kirche in Bagdad am 31. Oktober, bei der 58 Menschen ums Leben kamen, habe das Terrornetzwerk Al Kaida weitere Angriffe auf Christen im Irak angekündigt. Menschenrechtsexperten schätzen, dass weltweit rund 200 Millionen Christen wegen ihres Glaubens diskriminiert oder verfolgt werden.

„Ausgestreckte Hand“ für Muslime

In Anwesenheit von Bundespräsident Christian Wulff ging Schneider auch auf die Integrationsdebatte ein. Er dankte ihm für seine Aussagen, dass Deutschland einerseits kulturell und religiös von christlich-jüdischen Wurzeln genährt werde, dass andererseits aber der Islam zu Deutschland gehöre. Dies sei wie eine „ausgestreckte Hand“ für die inzwischen rund vier Millionen Muslime. In einem inneren Zusammenhang sehe er Wulffs Worte in der Türkei, wo er auf die Verwurzelung der Christen in Kleinasien seit Jahrtausenden hingewiesen habe. In Deutschland sei die Einwanderungsgesellschaft Alltag; sie brauche keine Scharfmacher. In Anspielung auf die Debatte um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ bezeichnete er pauschale Vorwürfe, muslimische Migranten seien genetisch oder kulturell bedingt wenig intelligent, ökonomisch unproduktiv, integrationsunwillig und nicht anpassungsbereit als gefährlich und herabwürdigend.

Energiepolitik ohne Atomkraft

Im Blick auf andere aktuelle politische Themen äußerte sich Schneider unter anderem kritisch zur Verlängerung der Laufzeit von Atomreaktoren: „Wir brauchen eine Energiepolitik, die nicht wieder neu auf Atomkraft setzt.“ Ebenfalls kritisch sieht Schneider den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ binde einen Militäreinsatz an „Recht schaffende und Recht erhaltende“ Gewalt. Darüber hinaus fordere sie klare Zielsetzungen, ein umfassendes Konzept und eine Ausstiegstrategie. „Deren Fehlen stellt die ethische Legitimation des Einsatzes in Afghanistan in Frage“, so Schneider.

PID: Mit-Leiden mit erbkranken Eltern

Er erläuterte auch seine Haltung zur Präimplantationsdiagnostik (PID) und unterstrich, dass sich der Rat der EKD eindeutig für ein Verbot dieser Methode ausgesprochen habe. Mit PID werden künstlich befruchtete Eizellen auf genetische Defekte untersucht, bevor sie einer Frau eingepflanzt werden. Als krank angesehene Embryonen werden getötet. Das sehen Kritiker als Selektion von kranken und behinderten Menschen an. PID war bis zu einem Urteil des Bundesgerichtshofs von diesem Jahr verboten. Jetzt will der Bundestag über eine Neuregelung beraten. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz und der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Johannes Friedrich (München), haben sich gegen eine Zulassung ausgesprochen. Schneider hatte in einem Interview durchblicken lassen, dass er sich eine Zulassung unter eng begrenzten Bedingungen vorstellen könne. Wie er vor der EKD-Synode erläuterte, habe er damit sein „Mit-Leiden“ für Eltern mit schweren Erbkrankheiten geäußert, die in ihrer Not die PID als Hilfe ansehen. Es sei ihm bewusst, dass es schwer sein werde, Grenzen festzuschreiben und in der Praxis durchzuhalten.

Sexueller Missbrauch: „Unermessliches Leid“

Er ging auch auf Misshandlungen von Kindern in kirchlichen Heimen in den fünfziger und sechziger Jahren sowie auf sexualisierte Gewalt in den Kirchen ein. In beiden Fällen sei „unermessliches Leid“ geschehen. Die evangelischen Kirchen ließen sich von drei Grundsätzen leiten: vorrangige Aufmerksamkeit für die Opfer, keine Toleranz für die Täter und vorbehaltlose Zusammenarbeit mit der Justiz. Zudem wolle man vorbeugend wirken. Ferner müssten die Täter zu Umkehr und Buße angehalten werden.

„Dein Name werde geheiligt“

Schneider stellte seinen Bericht unter die Vaterunser-Bitte „Dein Name werde geheiligt!“ Die Kirche Jesu Christi sei eine Stätte und Gemeinschaft, durch die der Name Gottes in der Welt geheiligt werden solle. Gleichzeitig sei die ethische Urteilsbildung in der Kirche auch der Zeitlichkeit und Zeitbedingtheit menschlichen Denkens unterworfen. Das führe zu uneinheitlichen Urteilen. Die oft mühsame Verständigung in den Kirchen der Reformation sei der Preis, den sie für den Verzicht auf ein päpstliches Lehramt zahlten. Die Vielstimmigkeit dürfe aber nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden; sie bleibe bezogen auf die Heilige Schrift. Zur Urteilsbildung sei die Bereitschaft nötig, aufeinander zu hören und sich gegebenenfalls auch korrigieren zu lassen.

Das Wort vom Kreuz ist keine Torheit

Schneider bezeichnete es als unverzichtbar für die Kirche, über die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu nachzudenken. Nur im Glauben an Christi Kreuz und Auferstehung werde dem Menschen Vergebung und Gotteskindschaft geschenkt. Deshalb habe die Kirche eine begründete Hoffnung – trotz aller Schrecken dieser Welt und über den Tod hinaus. Das Wort vom Kreuz sei für Christen keine Torheit, sondern Hoffnung schenkende Gotteskraft.

Dank an Käßmann für kurze, aber intensive Amtszeit

Schneider hat das Amt des EKD-Ratsvorsitzenden seit dem Rücktritt von Margot Käßmann wegen einer Alkoholfahrt kommissarisch inne. Er dankte der früheren Landesbischöfin für die kurze, aber intensive Zeit ihres Ratsvorsitzes von Ende Oktober 2009 bis Ende Februar 2010. „Wir freuen uns, wenn sie eine gewichtige Stimme unserer Kirche bleiben wird“, so Schneider. Am 9. November tritt der 63-Jährige bei der Wahl zum Ratsvorsitzenden an. Seine Wahl gilt als sicher.