18.05.2010

Wo Evangelikale Flagge zeigten

In manchen Veranstaltungen wurden auch eindeutig biblische Akzente gesetzt

Wo Evangelikale Flagge zeigten

In manchen Veranstaltungen wurden auch eindeutig biblische Akzente gesetzt

Es war eine der wichtigsten Veranstaltungen des Ökumenischen Kirchentages, obwohl sie nicht für Schlagzeilen sorgte: das 72-Stunden-Gebet unter dem Motto „stay and pray" (bleibe und bete) in der Heilig-Geist-Kirche am Viktualienmarkt. Rund um die Uhr baten Mitglieder von 36 Gemeinden, Kommunitäten und geistlichen Bewegungen Gott um Beistand: zum Beispiel für evangelistische Aktionen, Gottesdienste, Podiumsdiskussionen. Ihr gemeinsames Anliegen: Die geistlichen Inhalte sollten auf dem Kirchentag nicht zu kurz kommen. „Wir wollten zeigen: Gott muss die Mitte des Kirchentages sein", sagte einer der Verantwortlichen, der katholische Jugendpfarrer Daniel Lerch, gegenüber idea. Kirchentagsteilnehmer und Passanten waren eingeladen, elf Gebetsstationen zu besuchen.  

Ein wunderbares Zeichen

Dort konnten sie unter anderem Sorgen und Nöte an eine Klagemauer heften. In der ersten Nacht kamen rund 7.000 Besucher. An dem Dauergebet für den Kirchentag beteiligten sich unter anderem Christen aus der Evangelischen Allianz München, der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung in der evangelischen Kirche und der Charismatischen Erneuerung in der katholischen Kirche. „Wir haben damit ein wunderbares Zeichen für die geistliche Einheit der Kirchen gesetzt", sagt Koordinator Lerch. Mitarbeiter des Kirchentages konnten bei einem Fürbitt-Handy anrufen, wenn es technische Probleme gab, etwa eine Lichtanlage nicht funktionierte. Ein Mitarbeiter des Gebetsprojekts ging dann in den Fürbitte-Raum, um Gott um Hilfe zu bitten. „In Spitzenzeiten hat jede halbe Stunde jemand angerufen", so Lerch. Manch aufgeklärter Theologe mag es vielleicht belächeln, dass Gott sich auch um solche vermeintlichen Kleinigkeiten kümmern soll. Aber ist es nicht ein Problem vieler Christen, dass sie das Vertrauen in die Macht des Gebets verloren haben? Die Gebetsaktion, die mit dem ganz konkreten Eingreifen Gottes rechnete, setzte einen wichtigen Gegenakzent zu einem Machbarkeitsdenken, das viele Veranstaltungen dominierte: Wenn die Menschen nur guten Willens sind, können sie die Welt verbessern.  

Wider das religiöse Harmoniestreben

Auch auf anderen Gebieten zeigten Evangelikale selbstbewusst Flagge – allerdings war dies nur in wenigen der insgesamt rund 3.000 Kirchentagsveranstaltungen möglich. Vertreter dieser Bewegung wie der ProChrist-Leiter Ulrich Parzany und der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen (AEM), Detlef Blöcher, nutzten die Möglichkeit, ihr Bibel- und Missionsverständnis einzubringen. Sie unterstrichen die Einzigartigkeit Jesu Christi, in dem allein das Heil zu finden ist. Sie setzten damit ein Gegengewicht zu der verbreiteten Tendenz, die Unterschiede zwischen den Religionen im Zuge eines allgemeinen Harmoniestrebens zu verwischen. Blöcher rief dazu auf, Muslime zum christlichen Glauben einzuladen. Sie lebten ohne die Gewissheit, „ob Allah sie im Jüngsten Gericht annehmen wird". Deshalb sei es eine einzigartige Botschaft für Muslime, dass sie durch Jesus Christus mit Gott versöhnt werden können.  

Der Weg zum Heil darf nicht verschwiegen werden

In einer weiteren Veranstaltung des Kirchentags kritisierte der Direktor der Liebenzeller Mission, Detlef Krause (Bad Liebenzell), die Entwertung des Begriffs „Mission", indem man ihm den Jenseitsbezug genommen habe. Zwar gehöre die soziale Tat zur Verkündigung: „Aber wenn wir Menschen nicht sagen, wo sie das Heil finden, versagen wir ihnen das Wichtigste", mahnte Krause. Er bekräftigte, dass Jesus Christus der einzige Weg zum Heil ist. Diese zentrale Aussage im Neuen Testament könne man nicht wegradieren. Der Missionsdirektor befürwortete grundsätzlich einen interreligiösen Dialog. Dabei dürften aber nicht entscheidende christliche Grundlagen auf dem Altar eines Pluralismus geopfert werden. Die evangelikalen Missionsleiter gaben damit eine wichtige biblische Orientierung angesichts der verwirrenden Vielfalt der Meinungen auf dem Kirchentag. Die Besucher quittierten dies häufig mit Beifall. In den Veranstaltungen wurde auch deutlich, dass Evangelikale mit ihren Positionen Orthodoxen und konservativen Katholiken häufig näherstehen als liberalen Kreisen in der evangelischen Kirche.

Sind Missionare „krank"?

Auf dem Kirchentag waren allerdings mehr Stimmen zu hören, die den Absolutheitsanspruch einer Religion und Missionsbemühungen diskreditierten. Am weitesten ging hier der jüdische Publizist Günther Bernd Ginzel, der es als „krank" bezeichnete, andere Menschen von der eigenen Wahrheit überzeugen zu wollen. Die jüdische Theologin Susannah Henschel forderte, allen Fundamentalisten Einhalt zu gebieten, ganz gleich welcher Religion sie angehören. Aus der Frage „Wer hat den wahren Gott?" drohten viele Konflikte zu entstehen bis hin zu einem möglichen dritten Weltkrieg. Ein solcher Anti-Fundamentalismus trägt schon selbst wieder fundamentalistische Züge, weil er darauf abzielt, die Religionsfreiheit Andersdenkender – nämlich vermeintlicher Fundamentalisten – einzuschränken. Aber wer legt fest, was einen Fundamentalisten ausmacht? Zum Glück gab es auch differenzierende Stimmen: So warnte der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), Pfarrer Reinhard Hempelmann, vor Pauschalisierungen. So müsse man beim religiösen Fundamentalismus unterscheiden zwischen Gruppen, die ihre Überzeugungen nur mit friedlichen Mitteln vertreten und solchen, die ihre Sicht auch mit Gewalt durchsetzen wollen.

Frommes von je einem SPD- und FDP-Politiker

Erfreulich auf dem Ökumenischen Kirchentag war, dass Politiker und Unternehmer sich zum christlichen Glauben als ihrer Kraftquelle bekannten. BundesgesundheitsministerPhilipp Rösler(FDP) ermutigte die Zuhörer in seiner Bibelarbeit: „Lasst euch nicht kleinkriegen von dem Leid, das ihr erlebt, sondern lasst euch von der Hoffnung leiten!". Als Christ sei er gewiss, dass Gott dem Menschen einmal eine bessere Zukunft schenken werde. Dieser Glaube „gibt mir Kraft, mich im Diesseits für andere Menschen einzusetzen", so der Minister. Der SPD-Fraktionschef im Deutschen Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, bekannte ebenfalls, dass er Rückhalt im christlichen Glauben findet. Nach seiner Wahlniederlage bei der vergangenen Bundestagswahl habe er oft an eine Bibelarbeit über das Thema Zuversicht gedacht, die er auf einem Kirchentag gehalten habe. „Das hat mir auch in diesen schweren Tagen geholfen", so der frühere Bundesaußenminister in einem Interview. „Die Glaubensgemeinschaft ist mir viel wert."

Unternehmer warnt vor einem Leben ohne Gott

Heinrich Deichmann, Chef der größten Schuheinzelhandelskette in Europa, warnte auf dem Treffen vor einem Leben ohne Gott. Es führe zu Egoismus, Gier, Hass und Zerstörung. Die Sünde des Menschen bestehe darin, sich von Gott zu lösen, sich andere Götter zu suchen oder sich selbst zum Gott zu machen. Mitunter rieb man sich verwundert die Augen: Politiker und Wirtschaftsvertreter sprachen frommen Klartext, während Kirchenvertreter und Theologen häufig politische Rezepte von sich gaben.

Bayerns Evangelikale sehen Licht und Schatten

Wie bewerten bayerische Evangelikale den Ökumenischen Kirchentag? Martin Pflaumer – Ratsvorsitzender des Arbeitskreises Bekennender Christen in Bayern – findet sowohl lobende als auch kritische Worte. Er habe vor allem Veranstaltungen zum Thema Alter besucht und dort „sehr beglückende Erfahrungen" gemacht. Die Beiträge hätten aus biblischer Sicht wichtige Impulse gegeben. Er wolle den Kirchentag aber „nicht schönreden". Für „nicht kirchenkompatibel" halte er Aktivitäten, die praktizierte Homosexualität als eine Schöpfungsvariante darstellen und dafür werben. Notwendig seien vielmehr Seelsorgeangebote für Betroffene: „Sonst bekommt das Ganze eine Schieflage."

Christian Starke