17.07.2009

Deutschlandfunk wettert gegen Evangelikale

Ex-Allianzvorsitzender Strauch weist Fundamentalismus-Vorwürfe zurück

Deutschlandfunk wettert gegen Evangelikale

Ex-Allianzvorsitzender Strauch weist Fundamentalismus-Vorwürfe zurück

 

Seit April macht das Buch „Mission Gottesreich“ der ARD-Journalisten Oda Lambrecht und Christian Baars Furore. Sie warnen vor dem angeblich wachsenden Einfluss der Evangelikalen und Fundamentalisten in Gesellschaft und Kirche. Der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber (Berlin), hat sich in einer Reaktion zwar deutlich gegen eine pauschale Gleichsetzung von Evangelikalen und Fundamentalisten gewand, doch gleichwohl wiederholen öffentlich-rechtliche Sender die Thesen Lambrechts und Baars, zuletzt der Deutschlandfunk (Köln) in einer Hörfunksendung der freien Journalistin Brigitte Baetz am 13. Juli. Darin wurde unter anderem der EKD vorgeworfen, eine evangelische Erneuerung aus dem Geist des Fundamentalismus anzustreben. Auf die Sendung reagierte der frühere Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz (2000-2006) – der Dachorganisation von 1,3 Millionen Evangelikalen - und ehemalige Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden (1991-2008), Peter Strauch (Wetter/Ruhr), mit einem Brief an den DLF. Im Folgenden dokumentiert idea das Schreiben.

 

Am 13. Juli startete also auch der Deutschlandfunk seine Offensive gegen die Evangelikalen. Ihr Beitrag „Mission Gottesreich – Fundamentalistische Christen in Deutschland“ hat mich geradezu erschreckt. Nicht, dass ich Kritik nicht zu schätzen wüsste, aber sie sollte ehrlich und zutreffend sein. Gerade den DLF schätze ich wegen seiner sorgfältig recherchierten Beiträge. Davon kann aber in Ihrem Beitrag zum Buch „Mission Gottesreich“ von Oda Lambrecht und Christian Baars kaum die Rede sein.

 

 

Ignoranz oder Ideologie?

Wissen Sie eigentlich, dass der von Ihnen genannte Dachverband „Evangelische Allianz“, bereits seit 1846 existiert? An über 1.100 Orten unseres Landes führt die Evangelische Allianz zu Beginn eines jeden Jahres Gebetswochen durch. Hunderte landeskirchlicher und freikirchlicher Pfarrer und Pastoren beteiligen sich daran und das seit vielen Jahrzehnten. Die Evangelische Allianz als Sammelbecken neuer fundamentalistischer Bewegungen darzustellen, die den etablierten Kirchen den Rang ablaufen, zeigt entweder eine erschreckende Unkenntnis, oder ist aus ideologischen Gründen gewollt. Bevor Sie also diese 1,3 Millionen Christinnen und Christen mit muslimischen und die Demokratie gefährdenden Gruppen vergleichen, sollten Sie mindestens wissen, über wen Sie hier sprechen. Übrigens ist es keine Frage, dass darunter auch viele Hörerinnen und Hörer des DLF sind.

 

Diese Christinnen und Christen mögen ja in ihrer Mehrheit konservativ sein,  aber außerhalb der Gesellschaft stehen sie mit Sicherheit nicht. Viele von ihnen arbeiten in pflegerischen, pädagogischen und politischen Verantwortungsbereichen, ganz zu schweigen von den diakonischen Einrichtungen und Werken, wie zum Beispiel der Arche in Berlin. Auch erfolgreiche Unternehmer gehören dazu, denen in durchaus kritischen Beiträgen auch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten bescheinigen, Ihre Unternehmen geradezu vorbildlich zu führen, (z.B. Deichmann oder Rittal). Und selbst der DLF sendet hin und wieder Beiträge von Journalisten, die im evangelikalen Bereich zu Hause  sind. Oft ist nicht einmal bekannt, wo sie verwurzelt sind - gerade weil sie sich integrieren und nicht im Traum daran denken, auf dem Weg in eine Parallelgesellschaft zu sein.  

 

 

Am Rand der Legalität?

Auch die in Ihrem Beitrag genannte „Massen-Erweckungsfeier“ ProChrist ist nicht gerade neu. Bereits vor 1993 startete sie mit der ersten Veranstaltungsreihe in der Essener Grugahalle. Prediger damals war Dr. Billy Graham, der immerhin Seelsorger vieler amerikanischer Präsidenten war, angefangen von Dwight D. Eisenhower bis zu George Bush (Nein, nicht George W. Bush). Übrigens hat auch Barack Obama in seinem Beraterteam zwei evangelikale Christen (Rick Warren und Jim Wallis), aber es mag sein, dass auch diese Verknüpfung schon in Ihren Augen anrüchig ist. Mir fiel sowohl in der Autobiographie Bill Clintons (Mein Leben) als auch in dem Buch Obamas (Ein amerikanischer Traum) auf, dass beide ohne die geringste Häme von persönlichen Begegnungen mit evangelikalen Gemeinden berichten. In Deutschland dagegen rücken Sie diese Christen an den Rand der Legalität.

 

Was überhaupt verstehen Sie unter „inszenierten Massen-Erweckungsfeiern“ und „ekstatisch gefeierten Gottesdiensten“?  Sind unsere liturgischen und oft kopflastigen Gottesdienste denn wirklich das Maß aller Dinge? Ist es richtig, jede emotionale Bewegung in kirchlichen Veranstaltungen unter Generalverdacht zu stellen? Haben Sie jemals in einer Gemeinde von Schwarzen einen Gottesdienst mit seiner überschäumenden Freude miterlebt? Ihr Beitrag erweckt den Eindruck, dass das geradezu ein Vergehen ist.

 

Und was das „Christival“ betrifft, so ist auch diese Veranstaltungsreihe in keiner Weise neu. Bereits 1976 fand der erste dieser Kongresse mit 12.000 Dauerteilnehmern statt. Und was Sie heute in Ihrem Beitrag Bischof Huber ankreiden, dass er sich evangelikalem Gedankengut öffne, trifft genauso für den damaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Landesbischof D. Helmut Claß, zu. Auch er stellte sich 1976 eindeutig hinter das Christival.

 

 

Evangelikale Theologie und Reformation

Nein, weder ProChrist noch das Christival sind amerikanische Errungenschaften, wie auch die gesamte evangelikale Theologie ja ganz und gar nichts Neues ist. Nicht Bischof Huber öffnet sich evangelikalem Gedankengut, wie Sie sagen, sondern – wenn überhaupt – so kehrt er zu dem zurück, was seit den Tagen der Reformation das Bekenntnis evangelischer Christen ist. Ihr Vorwurf der Bibeltreue trifft schließlich das Bekenntnis der Reformation: Sola Scriptura - Allein die Schrift! Nicht anders ist es bei der den Evangelikalen vorgeworfenen Intoleranz. Der Absolutheitsanspruch von Jesus Christus ist doch keine evangelikale Erfindung, sondern gehört zur reformatorischen Kernaussage (Solus Christus/Allein Christus)! Auch die Barmer Theologische Erklärung bekannte sich 1934 in ihrer ersten These zu Jesus Christus, dem einen Wort Gottes, neben dem es keine anderen Mächte, Gestalten und Wahrheiten der Offenbarung Gottes gibt. Genau diese Absolutheit gab der Bekennenden Kirche die Kraft, sich dem Anspruch der damaligen Machthaber zu widersetzen.

 

Toleranz meint eben nicht, dass uns alles gleich-gültig zu sein hat, sondern setzt geradezu einen eindeutigen Standpunkt voraus. Nur wer weiß, wo er steht, ist in der Lage andere Standpunkte zu tolerieren. Deshalb ist evangelikalen Christen nicht das Bekenntnis zum Absolutheitsanspruch von Jesus Christus anzulasten; vorzuwerfen wäre ihnen allenfalls, wenn sie damit gegen andere Überzeugungen zu Felde zögen. Abgesehen davon: Glauben Sie ernsthaft, dass die Stellungnahme Ulrich Parzanys gegen den Ehebruch unsere Gesellschaft gefährdet? Sind es nicht vielmehr die vielen zerbrochenen Ehen und Familien, bei denen vor allem Kinder die eigentlich Leidtragenden sind?

 

 

Allein der Glaube eint

Nein, ich rede keiner Gesetzlichkeit das Wort. Das Kernthema des Evangeliums ist nicht ein Verhaltenskodex, sondern die überwältigende Liebe Gottes in Jesus Christus. Allein der Glaube an Jesus Christus eint die Evangelikalen und nicht, wie es in Ihrem Beitrag heißt, der Glaube an die allein selig machende Kraft der Bibel. Ich räume ein, dass es unter den Evangelikalen auch exotische, extreme und gar doktrinär erscheinende Gruppen gibt, aber selbst das ist nicht neu. Ich bin in Wuppertal aufgewachsen und erinnere mich, dass in den fünfziger Jahren dort  Heilungsprediger auftraten, bei denen die etablierten Landes- und Freikirchen Schlimmstes befürchteten und warnend ihre Stimme erhoben. Aber mit den Jahren wurden ihre Anhänger nüchtern, korrigierten Einseitigkeiten und gaben ihren Separatismus auf. Es ist wie im politischen Leben: So manche Partei, die in ihrer Anfangszeit kaum parlamentsfähig schien, gilt inzwischen als ernstzunehmender Partner. Nein, neu ist das alles nicht.

 

 

Kann die Evolutionstheorie keine Alternative ertragen?

Und was den Kreationismus betrifft, so begreife ich einfach nicht, was daran so verwerflich sein soll. Weshalb sollte es nicht möglich sein, dass sich neben der Evolutionstheorie eine weitere Theorie der Öffentlichkeit stellt. Wenn es wirklich stimmt (was Sie befürchten), dass in der Bevölkerung die Zahl derer wächst, die die Vorstellung ablehnt, mit den Affen gemeinsame Vorfahren zu haben – was ist eigentlich so verwerflich daran? Setzt die Freiheit von Wissenschaft und Forschung nicht gerade voraus, dass unterschiedliche Schöpfungsmodelle offen diskutiert werden dürfen? Ganz abgesehen davon, dass längst nicht alle Evangelikale Anhänger des Kreationismus sind - ist die Evolutionstheorie denn so schwach, dass ihre Anhänger befürchten müssen, sie verlöre in der Bevölkerung die Akzeptanz? Und sollte man es darüber hinaus nicht überhaupt den Menschen zugestehen, sich ein eigenes Bild zu machen und selbst zu entscheiden, was in ihren Augen falsch bzw. richtig ist?

 

Doch manchmal habe ich den Eindruck, wir basteln mit solchen Auseinandersetzungen nur an den Symptomen herum. Vielleicht geht es dabei ja vielmehr um einen Grundkonflikt zwischen denen, die Jesus Christus beim Wort nehmen und ihm nachfolgen wollen und denen, die ihn zwar schätzen, aber seine Radikalität verneinen. Dietrich Bonhoeffer hat in seinem Buch „Nachfolge“ deutlich gemacht, dass es in dieser Beziehung nur ein Entweder-Oder gibt. Vielleicht sind das in Ihrem Beitrag geäußerte Unverständnis und Ihre Warnung vor evangelikalen Christen die unausweichliche Konsequenz daraus.