31.08.2009

Die Kirche lässt die Evangelikalen allein

Ob bei „Frontal 21“ oder den entführten Christen: Fast nur Schweigen

Die Kirche lässt die Evangelikalen allein

Ob bei „Frontal 21“ oder den entführten Christen: Fast nur Schweigen

 

Helmut Matthies

Selten sind so viele Schreckensmeldungen über die Verfolgung von Christen durch muslimische Fanatiker bekannt geworden wie in den letzten Wochen. Hunderte Christen wurden im Irak, Iran, Sudan, in Bangladesch und Nigeria umgebracht. Trotzdem gab es aus deutschen Kirchen keine Proteste, keine Bitte an die hiesigen Islamverbände, sich zu distanzieren, keine Appelle an die Politik, Entwicklungshilfe an die Einhaltung von Religionsfreiheit zu knüpfen. Liegt es daran, dass es sich bei den Opfern meistens um eine bestimmte Gruppe unter den Christen handelt – Evangelikale?

Nur zwei Bischöfe riefen zum Gebet auf

Für diese Annahme spricht das Schicksal des seit nunmehr über neun Wochen entführten evangelikalen Entwicklungshelfers Hentschel mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern. Sie halfen im Nordjemen in einem Krankenhaus den Ärmsten der Armen. idea hat Ende Juni an Bischöfe und die EKD appelliert, etwas zu unternehmen – zumindest zum Gebet aufzurufen. Nur zwei Kirchenleiter taten es in breiter Öffentlichkeit: der sächsische Landesbischof Bohl und der württembergische Landesbischof July.

Das neue Feindbild: die Evangelikalen

Was idea im Blick auf die entführten evangelikalen Entwicklungshelfer an peinlichen Reaktionen von kirchlicher Seite – ja geradezu an glatten Unwahrheiten – erlebt hat, lässt einen an seiner Kirche verzweifeln. Dabei geht es doch um eines der ureigensten christlichen Anliegen: dass die Kirchen ihren Mund auftun für die, die nicht reden können. Vermutlich ist ihr einziger Makel, dass sie evangelikal sind. Und damit sind sie das „neue Feindbild" der „linken Flügel der Grünen und der SPD sowie der Linkspartei" (wie jetzt ein – nicht evangelikaler – Experte, der Weltanschauungsbeauftragte der württembergischen Landeskirche, Hansjörg Hemminger, schrieb).

Evangelikale = Selbstmordattentäter?

Seit Monaten prasselt ein Trommelfeuer an Kritik auf sie ein. Letzter Höhepunkt ist die ZDF-Sendung „Frontal 21" vom 4. August gewesen, in der evangelikale Entwicklungshelfer auf eine Ebene mit islamistischen Selbstmordattentätern gestellt wurden. Evangelikale Institutionen wurden geradezu mit Stasi-Methoden ausgeforscht: ZDF-Journalisten gaben sich als „interessierte Studenten" aus und filmten mit versteckter Kamera in der Akademie für Weltmission.

Wenn die EKD diffamiert worden wäre?

Und auch hier – trotz Anfragen an die EKD von idea – Schweigen. Nur aus Sachsen gab es Protest vom Bischof wie von dem dort wirkenden EKD-Ratsmitglied Gudrun Lindner. Welche Woge der Empörung hätte es wohl gegeben, wenn die 15-köpfige Leitung der EKD – also der Rat – auf eine Stufe mit Mördern gestellt worden wäre? Die Forderung nach Rücktritt des ZDF-Intendanten und ein Gebührenboykott wären das Mindeste gewesen.

Beim ZDF in den Rücken gefallen

Das Schweigen der 30 Landes- und Freikirchenleiter in Deutschland wird aber noch davon übertroffen, dass idea aus Mainz erfuhr, ein Oberkirchenrat der EKD (der Name ist idea bekannt) habe dem ZDF signalisiert, man solle die Proteste gegen die Sendung nicht zu ernst nehmen. Damit wäre der Kirchenfunktionär nicht nur den sächsischen Kirchenrepräsentanten in den Rücken gefallen, sondern auch den vielen Christen, die zu Recht beim ZDF protestiert haben. Warum? Will man es sich mit den antievangelikalen Medien nicht verderben? Kalkuliert man ein, dass die Evangelikalen sowieso in ihrer Kirchentreue keine Konsequenzen ziehen?

Keiner kam den Evangelikalen zu Hilfe …

Der oben zitierte württembergische Weltanschauungsbeauftragte stellte bereits vor den jüngsten Ereignissen fest, dass schon bei dem von atheistischer Seite bekämpften evangelikalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge im Mai in Marburg weder die dortige Landeskirche (Kurhessen-Waldeck) noch die EKD den Evangelikalen zu Hilfe gekommen seien. Sie betrachteten sich nicht als zuständig „für das Tun und Leiden der evangelikalen Bewegung". Als nach dem Mauerbau 1961 Berlin litt, sprach US-Präsident John F. Kennedy die in die Weltgeschichte eingegangenen Worte der Solidarität: „Ich bin ein Berliner." So ein Politiker. Viel eher wäre zu erwarten, dass der oberste Hirte der deutschen Protestanten in der jetzt aufgeheizten Atmosphäre – Evangelikale auf einer Stufe mit Mördern gestellt – wenigstens einmal erklärt hätte: „In dieser Situation bin ich – bei allen Differenzen – auch ein Evangelikaler."

P.S.: Bischof Wolfgang Huber hat in seinen ersten Jahren als EKD-Ratsvorsitzender wesentlich dazu beigetragen, dass das Verhältnis von Kirche und evangelikaler Bewegung entscheidend besser wurde. Am Ende seiner Amtszeit besteht die Gefahr, dass er seinen Erfolg wieder zunichte macht.