12.08.2009
Lebt Jesus Christus nur in der menschlichen Fantasie?
Streitgespräch zwischen dem Althistoriker Spieß und dem Theologen Lüdemann
Lebt Jesus Christus nur in der menschlichen Fantasie?
Streitgespräch zwischen dem Althistoriker Spieß und dem Theologen Lüdemann
Wetzlar (idea) – Ist Jesus Christus leiblich von den Toten auferstanden? Ein Streitgespräch über diese Frage haben der Marburger Althistoriker Jürgen Spieß und der Lehrstuhlinhaber für Geschichte und Literatur des frühen Christentums an der Universität Göttingen, Prof. Gerd Lüdemann, geführt. Es fand auf Einladung der Evangelischen Nachrichtenagentur idea statt. Für Spieß, der das Institut für Glaube und Wissenschaft leitet, steht fest: „Die Auferstehung ist ein historisches Ereignis und Jesus lebt tatsächlich.“ Bei nahezu allen Wissenschaftlern sei Konsens: „Jesus starb den Tod am Kreuz durch die Römer – wahrscheinlich im Jahre 30. Kurz nach seinem Tod glaubten die Jünger, Jesus leiblich auferstanden gesehen zu haben.“ Dieser Glaube habe ihr Leben verändert: „Sie gingen dafür sogar in den Tod.“ Kurze Zeit nach dem Tod Jesu habe es bereits ein Glaubensbekenntnis gegeben, das die Auferstehung von Jesus enthielt. Außerdem berichteten alle vier Evangelien vom leeren Grab. Völlig anderer Ansicht als Spieß ist der Theologe Lüdemann, der sich 1998 vom Christentum öffentlich lossagte. Die Geschichte vom leeren Grab beruhe auf Erscheinungen, auf Visionen. „Als mein Vater gestorben ist, hatte ich eines Nachts auch eine Vision von ihm – eine ekstatische Erfahrung, geboren aus dem Wunsch, dass er nicht gestorben ist.“ Jesus lebe so, wie der Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) lebe: in den Fantasien und Gedanken der Menschen.
Widersprüchliche Berichte?
Lüdemann und Spieß diskutierten auch über die Frage, wie glaubwürdig die neutestamentlichen Berichte über die Auferstehung sind. Der Göttinger Theologe sieht Widersprüche, die sich nicht erklären lassen. Lukas und Johannes zufolge sei Jesus nach seiner Auferstehung zuerst in Jerusalem, laut Matthäus und Markus aber in Galiläa erschienen: „Was stimmt denn nun?“ Die Antwort von Spieß: „Beides!“ Es liege in der Natur von Augenzeugenberichten, dass sie nicht völlig übereinstimmten. Der Kern des Evangeliums – Kreuz und Auferstehung – stimme. „Darauf kommt es an“, so Spieß, der aus einem atheistischen Elternhaus stammt. Durch einen Schulfreund sei er Christ geworden: „Ich habe erlebt, dass Jesus real ist. Ich habe mich dann auch mit der historischen Zuverlässigkeit der biblischen Auferstehungszeugnisse beschäftigt und erkannt, dass deutlich mehr dafür als dagegen spricht.“
„Religiöser Mensch ohne Religion“
Lüdemann bezeichnete sich in dem Gespräch als „einen religiösen Menschen ohne Religion“. Er habe immer noch eine Art Glauben: „Ich bin jetzt 62, und der Tod kommt immer näher. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass Jesus, der Weltenrichter – wenn es ihn denn gibt – mich nicht verlassen wird.“ Mit seinem Herzen wolle er gern glauben, so Lüdemann. „Aber um Gott zu erkennen, kann ich meiner Vernunft nicht die Augen ausstechen, wie Luther das fordert. Wenn ich das Flugzeug des Glaubens besteigen soll, muss es präzise gebaut sein.“ Die Entgegnung von Spieß: „Mit Paulus denke ich, dass der Glaube an die Auferstehung nicht nur wahr ist, sondern auch vernünftig.“