16.04.2009

Deutschland muss sein Verhältnis zur Religion neu definieren

Um muslimische Migranten in Deutschland erfolgreich zu integrieren, sei es notwendig, zunächst das Verhältnis zwischen Staat und Christentum zu klären. Diese Ansicht vertrat der Theologe und Religionssoziologe, Prof. Dr. Thomas Schirrmacher(Bonn) bei einem Seminar des GemeindeFerienFestivals SPRING, das vom 13. bis 18. April 2009 in Ruhpolding stattfindet. "Die deutsche Gesellschaft ist davon geprägt, dass jahrezehntelang versucht wird, Religion aus der Öffentlichkeit zu verbannen", so Schirrmacher. Mit dem Islam trete jetzt auch in Deutschland eine Religion auf, die beanspruche, in der Öffentlichkeit mitzureden. "Darauf waren wir völlig unvorbereitet. Die deutsche Politik frönte der Theorie der Säkularisierung", so Schirrmacher. Die Entwicklung des Islams in den letzten Jahren sei deshalb unerwartet gekommen. Politisch sei Deutschland in der Lage, Migranten mit häufig geringer Qualifikation auch ins Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt zu integrieren. "Aber politische Probleme eines Landes sind nicht nur politisch zu lösen, sondern oft auch ein geistliches Problem", so Schirrmacher. Die muslimischen Migranten, die in vierter Generation in Deutschland leben, seien laut einer Studie des Bundesinnenministeriums deutlich religiöser als vor zwei Generationen.

Integration von Muslimen als Aufgabe der Christen
Die eigentliche Tragödie sei allerdings das Versäumnis der Kirchen, sich bei der Integration von insbesondere muslimischen Migranten zu engagieren. So sei gar nicht unbedingt der Islam, sondern vielmehr der Zustand des Christentums ein Problem für Europa, wie es ein Journalist einmal formuliert hätte. Schirrmacher: "Das ungeheuere religiöse Vakuum unserer Gesellschaft ermöglicht es einer unbekannten Religion und Kultur, wo sogenannte Ehrenmorde und andere Morallosigkeiten eine Rolle spielen, an Einfluss zu gewinnen. Das wäre kein Problem, wenn wir ein flächendeckendes Christentum hätten". Deshalb seien besonders die Christen gefragt, sich die Aufgaben der Integration von Muslimen zu eigen zu machen.

Sorge vor Terroranschlag in Deutschland
Die Gefahr einer kulturellen Überfremdung durch muslimische Einwanderer sieht Schirrmacher jedoch nicht. Das Problem sei eher eine wachsende Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten, die besonders unter Jugendlichen bereits zu beobachten sei. Das könnte eskalieren, wenn es in Deutschland einmal zu einem Terroranschlag kommen sollte. "Es wäre naiv, zu glauben, was in London passiert ist, könne in Deutschland nicht passieren. Gerade in Deutschland kann die Stimmung dann ungeheuer schnell umschlagen", so Schirrmacher.