29.09.2008

Die Rolle der Evangelikalen wandelt sich

Allianztag: Früher totgeschwiegen, heute gebrandmarkt

Die Rolle der Evangelikalen wandelt sich

Allianztag: Früher totgeschwiegen, heute gebrandmarkt

B a d  B l a n k e n b u r g (idea) – Die Rolle der Evangelikalen in der Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Während sie früher totgeschwiegen wurden, sind sie seit etwa zwei Jahren ein Dauerthema in den Medien. Dabei würden die theologisch konservativen Protestanten, die von der Evangelischen Allianz repräsentiert werden, allerdings vielfach als gefährlich gebrandmarkt und zunehmend angefeindet. Diese Ansicht vertrat der Dekan der Freien Theologischen Akademie Gießen, Stephan Holthaus, beim Allianztag am 27. September in Bad Blankenburg (Thüringen). Holthaus, auch Leiter des Institutes für Ethik und Werte, kritisierte, dass die evangelikale Bewegung in den Medien sehr undifferenziert dargestellt werde. Evangelikale würden von Vornherein suggestiv als „Strenggläubige“, „Hardliner“ oder „Kämpfer“ bezeichnet. Zudem würden Randthemen wie der Hausunterricht so sehr aufgebauscht, dass der Eindruck entstehe, alle Evangelikalen schickten ihre Kinder nicht zur Schule. „Dabei spielt dieses Thema in den meisten evangelikalen Kreisen überhaupt keine Rolle“, so Holthaus.

Evangelikale und Terroristen

Viele Journalisten nutzten auch die Angst der Bevölkerung vor religiösen Extremisten nach den vom 11. September 2001 aus. Sie nennten muslimische Terroristen, die für die Anschläge verantwortlich waren, und evangelikale Christen in einem Atemzug. „Wir Evangelikalen passen ja auch nicht in das System einer toleranten und angepassten Gesellschaft“, sagte Holthaus vor den rund 100 Teilnehmern des Allianztags. „Wir missionieren und vertreten einen Absolutheitsanspruch.“ Das mache Evangelikale zwar noch lange nicht gefährlich, passe aber nicht in eine Zeit, der alles gleich gültig sei.

Für Apologetische Zentrale

Holthaus übte aber auch Selbstkritik. Tatsächlich tummelten sich an den Rändern der evangelikalen Bewegung mittlerweile Gruppen, mit denen er nichts zu tun haben wolle. Namen wollte Holthaus nicht nennen. Er mahnte die Allianz, „moderat, aber bestimmt“ auf Fehlentwicklungen in den eigenen Reihen zu reagieren. Kritik übte er auch daran, dass die Argumente Evangelikaler in sachlichen Auseinandersetzungen nicht immer gut genug seien. Er plädierte deshalb für eine „Apologetische Zentrale der Evangelischen Allianz“, die Argumentationshilfen entwickeln sollte.

Aggressive Atheisten

Der Gründer der „Jungen Kirche Berlin“, Alexander Garth, betonte, dass besonders in weiten Teilen Ostdeutschlands nicht Gleichgültigkeit, sondern „eine abgrundtiefe Aversion und Aggression“ das Verhältnis der Menschen zur Kirche kennzeichne. Für ihr Weltbild sei der Glaube an Gott etwas Dummes und stehe auf einer Ebene mit dem Glauben an den Weihnachtsmann oder den Osterhasen. „Für diese hart gesottenen Atheisten sind Gläubige mit Rauchern zu vergleichen – nur die Schwachen und Abhängigen greifen zum Glimmstengel“, sagte er. Besonders dramatisch sei die Situation in Berlin, wo in manchen Stadtteilen nicht einmal zwei Prozent der Menschen zu einer Kirche gehören. „Berlin kommt mir manchmal vor wie ein Überbleibsel aus der DDR“, so Garth. Das zeige sich auch an der nicht enden wollenden Debatte um den Religionsunterricht als ordentliches Schulfach. Der rot-rote Senat hatte den Ethikunterricht vor zwei Jahren trotz zahlreicher Proteste von Eltern und Kirchen als Pflichtfach eingeführt. Religionsunterricht kann freiwillig und zusätzlich besucht werden.

Zu viel Raum für Homo-Thema

Mit Blick auf das Thema Homosexualität warf Garth den Evangelikalen vor, die Prioritäten hin und wieder falsch zu setzen. „Es gibt Hierarchien von Wahrheiten“, sagte er. „Aber manche sind eben erst an 20. oder 50. Stelle wichtig.“ Zwar sei auch er überzeugt davon, dass Homosexualität nicht Gottes Konzept für die Menschen sei. Aber die oberste Wahrheit sollte sein, dass Jesus Christus für die Menschen gekreuzigt, gestorben und auferstanden ist. Diese dürfe nicht von der Debatte um gleichgeschlechtliche Lebensformen verdeckt werden.

Allianz: Migrantengemeinden integrieren

Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Jürgen Werth (Wetzlar), sagte, er wünsche sich, dass die Allianz noch stärker zu einer Plattform der Begegnung mit unabhängigen– und Migrantengemeinden werde. Offiziellen Schätzungen zufolge gebe es in Deutschland etwa 400 unabhängige evangelikal orientierte Gemeinden, die zu keiner festen Gemeinschaft gehörten. Nach Angaben des Arbeitskreises für Migration und Integration (AMIN) wachse auch die Zahl von Migrantengemeinden. „Auf beide Gruppen gehen wir in der Allianz bisher zu wenig ein“, so Werth.