05.05.2008
Warum sich Christen über die Proteste gegen das Christival in Bremen nicht wundern sollten
Es ging nicht nur um Abtreibung und Homosexualität
Warum sich Christen über die Proteste gegen das Christival in Bremen nicht wundern sollten
Es ging nicht nur um Abtreibung und Homosexualität
(Matthias Pankau) So etwas hat es lange nicht mehr gegeben. Dass eine christliche Großveranstaltung teilweise von der Polizei geschützt werden musste. Etwas Vergleichbares gab es bei Kirchentagen in den 60ern, 70ern und 80ern. Beispielsweise 1969 in Stuttgart, als Mitglieder der APO die Bühne regelrecht stürmten, um gegen Althergebrachtes – und dazu gehörte auch die Kirche – zu protestieren. Oder beim Kirchentag 1989 in Westberlin, wo eine Podiumsdiskussion mit einem Vertreter der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) von Linksradikalen gesprengt wurde. Doch spätestens seit Anfang der 90er Jahre war es ruhig geworden. Öffentliche Veranstaltungen von Christen fanden meist unter dem wohlwollenden Desinteresse der Öffentlichkeit statt. Proteste oder gar gewalttätige Gegendemonstrationen? Meist Fehlanzeige!
Es ging nicht nur um Abtreibung und Homosexualität
Beim Christival 2008 in Bremen war das anders. Fast täglich musste die Polizei ausrücken, um kleinere oder größere Protestaktionen nicht eskalieren zu lassen. Auslöser waren je ein Seminar zu Homosexualität und Abtreibung gewesen, von denen eines im Vorfeld noch abgesagt worden war. Nach der Kritik des Parlamentarischen Geschäftsführers der Grünen im Bundestag, Volker Beck, hatten sich verschiedene Bündnisse – u. a. das Antisexistische Bündnis „No Christival“ – formiert und Protestaktionen angekündigt. Der bekennende Homosexuelle Beck hatte den Ansatz des abgesagten Seminars – nämlich, dass homosexuelle Neigungen therapierbar seien – als „Scharlatanerie“ bezeichnet. Seitdem hatte das Christival in den Medien eine Aufmerksamkeit, wie wahrscheinlich keine der Vorgängerveranstaltungen. Doch im Kern richteten sich die Proteste keinesfalls nur gegen die beiden genannten Veranstaltungen, wie sich in Bremen zeigte. Sowohl das Seminar „Sex ist Gottes Idee – Abtreibung auch?“ als auch die kurzfristig angesetzte Pressekonferenz des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft der Offensive Junger Christen (OJC), die ursprünglich das Seminar zum Thema Homosexualität anbieten wollte, verliefen ohne größere Zwischenfälle.
Wie wir weniger Probleme hätten
Die Proteste richteten sich gegen eine neue Eindeutigkeit unter Christen, die im Wort Jesu wurzelt „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als durch mich“ und die damit einen Absolutheitsanspruch vertritt. Der Direktor des Theologischen Seminars der Liebenzeller Mission, Volker Gäckle, sagte in seiner Bibelarbeit völlig zu Recht: „Wenn Jesus einer unter vielen wäre, hätten wir hier in Bremen weniger Probleme.“ Genau das ist der Punkt. Dankenswerterweise hat die evangelische Volkskirche in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren – spätestens seit der Missionssynode 1999 in Leipzig – zumindest mehrheitlich zurückgefunden zu ihrem „Kerngeschäft“ – der Verkündigung des Evangeliums. Und das ist für viele Nichtchristen anstößig. Denkt man zurück an kirchliche Großveranstaltungen in den 70er und 80er Jahren – da ging es um Abrüstung, Apartheid und Gleichberechtigung. Das war gesellschaftlicher Konsens und tat niemandem weh. Hielten es damals viele Christen mit dem Motto Friedrichs des Großen (1712-1786) – „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden“ –, reden sie jetzt wieder von Jesus als dem einzigen Weg zu Gott. Diese Ansicht war – Meinungsfreiheit hin, Meinungsfreiheit her – zu keiner Zeit mehrheitsfähig.
Gleichgültigkeit weicht kritischem Interesse
Nun braucht man die Proteste aber nicht nur negativ zu sehen. Man kann auch sagen: Die Gleichgültigkeit der vergangenen Jahrzehnte weicht zunehmend einem kritischen Interesse. Menschen schauen wieder genauer hin, was Christen machen und was für Ansichten sie haben – auch zu Themen wie Abtreibung und Homosexualität. Dafür wäre es allerdings wünschenswert, dass Christen unterschiedlicher Konfessionen und Prägung noch stärker als bisher den Schulterschluss suchten. Großveranstaltungen wie das Christival, ProChrist oder auch der Kirchentag sind dazu gute Gelegenheiten. Der Besuch des Christivals durch den EKD-Ratsvorsitzenden, Bischof Wolfgang Huber (Berlin), war gerade vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen im Vorfeld ein Signal, das nicht unterschätzt werden sollte. Bedeutet es doch, dass „Bremen“ keine Veranstaltung von unbelehrbaren Hardlinern war, sondern Konsens ist unter evangelischen Christen in Deutschland.
Der Gegenwind wird rauher
Vor dem Hintergrund der zum Teil gewalttätigen Proteste gegen das Christival von einer Zeitenwende für Christen in Deutschland zu sprechen, wäre sicherlich übertrieben. Es war trotz allem ein ausgelassenes und fröhliches Glaubensfest junger Christen. Doch der Gegenwind wird rauher und die Zeit des gemütlichen „Sofachristentums“, wie Allianz-Generalsekretär Hartmut Steeb es nannte, könnte sich dem Ende entgegenneigen. Das hat das Christival gezeigt. Doch der eingeschlagene Weg ist richtig und Anfeindungen sind der Preis der Eindeutigkeit.
Investition in die Zukunft
Übrigens: Die 250.000 Euro, mit denen das Familienministerium die Veranstaltung gefördert hat, sollten als Investition in die Zukunft unseres Landes verstanden werden. Denn die Jugendlichen wurden einerseits motiviert, sich in der Gesellschaft zu engagieren – und zwar aus ihrer christlichen Überzeugung heraus, dass man Gott am besten dient, indem man den Mitmenschen dient. Andererseits wurde ihnen einmal mehr vor Augen geführt, dass man auch mit gewalttätigen Anfeindungen tolerant und besonnen umgehen sollte. Beides sind gute Voraussetzungen für die Zukunft einer Gesellschaft, der der Mittelstand wegzubrechen droht und die dem Phänomen der zunehmenden Jugendkriminalität bisher recht hilflos gegenübersteht.