26.11.2006
"Christentum wird Gegnern zu groß"
Es ist wieder so weit, das neue Jahrbuch der Christenverfolgung erscheint. Autor ist der Bonner Thomas Schirrmacher. Im Gespräch erklärt er, warum vor allem die Anhänger Jesu Christi überall auf der Welt zu den religiös Verfolgten und Ermordeten gehören.<br />
"Christentum wird Gegnern zu groß"
Es ist wieder so weit, das neue Jahrbuch der Christenverfolgung erscheint. Autor ist der Bonner Thomas Schirrmacher. Im Gespräch erklärt er, warum vor allem die Anhänger Jesu Christi überall auf der Welt zu den religiös Verfolgten und Ermordeten gehören.
Als Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit mit Sitz in Bonn gehört Thomas Schirrmacher zu den weltweit führenden Experten in Sachen Christenverfolgung. Der Menschenrechtler und Theologe kritisiert, dass in Deutschland kaum jemand weiß, welch heftige Kämpfe außerhalb Europas zwischen Religionsangehörigen toben - und dass Christen deren Hauptopfer sind.
Welt am Sonntag: Professor Schirrmacher, im letzten Jahrbuch berichteten Sie, dass Christinnen in Pakistan faktisch Freiwild für muslimische Männer sind. Wird eine Christin dort von einem Muslim vergewaltigt, geht der Täter aufgrund des islamischen Zeugenrechts fast immer straffrei aus (siehe auch Kasten). Hat sich die Lage dieser Frauen verbessert?
Thomas Schirrmacher: Leider nein. Im Gegenteil: In Pakistan steht es immer schlechter um die Religionsfreiheit, weil gerade die Juristen und Meinungsmacher dort zunehmend dem Islamistenlager angehören und enormen Druck auf die Politik ausüben, die Scharia beizubehalten. Der Fall veranschaulicht übrigens gut, was alles unter Christen-Verfolgung zu verstehen ist. Eben nicht nur die Hinrichtung von Missionaren oder Konvertiten wie im Iran oder Sudan...
...sondern auch die Gewalt unterhalb der Ermordung.
Schirrmacher: Genau. Und die reicht vom Abfackeln einer Kirche in Indonesien und dem Verprügeln von Missionaren in Indien über die Folter eines widerspenstigen Pfarrers in Vietnam bis hin zur Verstoßung eines Juden aus einer orthodoxen Familie in Israel, weil er zum Christentum übergetreten ist.
Also geht die Gewalt gegen Christen keineswegs immer vom Staat aus.
Schirrmacher: Nein, in einer Demokratie wie Indien ordnet die Regierung nicht an, Missionare zu verprügeln. Andererseits: In einigen indischen Bundesstaaten werden christliche Missionare mit Gefängnis bestraft. Dadurch wird die Religionsfreiheit stark beschränkt und ein gefährliches Klima geschaffen. Und der indonesische Staat verbietet zwar selbstverständlich das Abbrennen von Kirchen, aber in der Armee befinden sich viele Sympathisanten der Täter, die den brandschatzenden Islamisten keinen Einhalt gebieten und ihnen zuschauen.
Wie definieren Sie bei so unterschiedlichen Verfolgungsarten den Begriff "Christenverfolgung"?
Schirrmacher: Als das Leid, das jemandem widerfährt, weil er Christ oder Christin ist.
Wie viele Fälle dieser Art haben Sie 2005 registriert?
Schirrmacher: Das ist in absoluten Zahlen schwer zu fassen. Es gibt aber Schätzungen, die auf der Auswertung aller verfügbaren Daten eines Jahres basieren. Demzufolge sind weltweit 75 Prozent aller aus religiösen Gründen Verfolgten Christen, und weit über 80 Prozent der aus religiösen Gründen Ermordeten ebenfalls.
Wer sind die Verfolger? Offenbar nicht nur Gottesstaaten?
Schirrmacher: Keineswegs. Auch im kommunistischen Machtbereich, in der Volksrepublik China, in Nordkorea oder Vietnam wird gefoltert und unterdrückt. Beunruhigend ist aber die Tendenz, dass bislang religiös neutrale Staaten wie Indien, Malaysia oder Algerien die Religionsfreiheit ihrer Minderheiten massiv einschränken.
Warum trifft es dabei die Christen besonders oft und hart?
Schirrmacher: Dass sie mit 2,1 Milliarden nominellen Anhängern die weltgrößte Glaubensgemeinschaft sind, ist jedenfalls keine ausreichende Antwort. Denn die Zahl entspricht weniger als einem Drittel der Weltbevölkerung. Das erklärt nicht Verfolgungsraten von 75 bis über 80 Prozent.
Woran liegt´s dann?
Schirrmacher: Entscheidend ist das phänomenale Wachstum des Christentums außerhalb Europas. Seit 1970 hat sich die Christenheit in Asien und Afrika verdreifacht.
Ist das außereuropäische Wachstum nicht auf Bevölkerungsanstieg zurückzuführen?
Schirrmacher: Nicht primär. Wichtiger sind die rund 420 000 meist freikirchlichen Missionare, die vor allem in Afrika und Asien arbeiten. Und dieses Voranpreschen der christlichen Religion führt zu Spannungen. Die andersgläubigen Bevölkerungsmehrheiten fürchten Überfremdung und den Verlust kultureller Identität. Diese Sorge wird noch dadurch verstärkt, dass Christen oft gute Verbindungen ins Ausland haben, Katholiken ohnehin, weil die Papstkirche nun mal Weltkirche ist, aber auch Protestanten in der Diaspora haben meist enge Kontakte zu evangelischen Bruderkirchen in aller Welt.
Deshalb werden Christen als vaterlandslose Gesellen wahrgenommen?
Schirrmacher: Ja, meist natürlich zu Unrecht. Andererseits verstärken manche US-Evangelikale diesen Eindruck, indem sie die Mission unter Muslimen als Kreuzzug bezeichnen. Auch die religiöse Rhetorik des US-Präsidenten hat dem Ruf asiatischer und afrikanischer Christen geschadet. Selbst in der Türkei wird Christen deshalb oft unterstellt, sie seien CIA-Spione.
Insofern ist Bush mitverantwortlich für die Christenverfolgung?
Schirrmacher: Natürlich, auch wenn er sich um verfolgte Christen zu bemühen versucht.
Dieser weltweite Vormarsch der Religion Jesu löst die Christenverfolgung als Abwehrreaktion aus?
Schirrmacher: Ja, gerade in bislang religiös neutralen Ländern wie Indonesien, Indien oder Algerien. Wo Bevölkerungsgruppen mit anderer kultureller Identität entstehen, sei es durch Einwanderung oder Mission, lässt sich oft dieser Trend beobachten: Die Mehrheit entdeckt ihre religiöse Tradition wieder und will sie schützen. Dann wird Religion immer stärker mit Politik, Kultur und Nation vermischt. Plötzlich wird auch wieder betont, wie sehr die Kultur eines Landes, einer Nation von der überlieferten Religion geprägt wurde, weshalb das Fremde gestoppt werden müsse. Politik soll dann den überlieferten Glauben der Mehrheit schützen und sich zur Staatsreligion verwandeln.
Wenn Mission den Frieden derart gefährdet, sollte man darauf verzichten, sagen manche in der evangelischen Kirche.
Schirrmacher: Das wäre Selbstaufgabe. Immerhin ist aktive Religionsfreiheit...
...also das Recht auf Mission...
Schirrmacher:...ein Menschenrecht. Außerdem kann ein Gläubiger gar nicht unmissionarisch leben. Seine Sexualethik, sein Gerechtigkeitsempfinden, seine Erziehungsideale zu vertreten - all das ist schon missionarisch. Konsequenterweise müsste dann jeder Mensch darauf verzichten, seine Überzeugungen zu verbreiten, auch Greenpeace und die Medien. Aber die Verfolgung ist nicht nur Reaktion auf christliche Mission. Oft steckt dahinter auch der gefährliche Traum von völkischer Homogenität. Alles soll geeint sein: die Religion, das Volk, der Staat. Religiöse Gleichberechtigung und Vielfalt erscheinen dann als Frevel.
Welche Gründe sehen Sie noch dafür, dass weltweit vor allem Christen verfolgt werden?
Schirrmacher: Ein Grund ist sicher der Pazifismus vieler Kirchengemeinden. In Indonesien zum Beispiel, wo im Schnitt täglich eine Kirche niedergebrannt wird, haben sich viele Gemeinden entschieden, auf Gegengewalt zu verzichten, wenn islamistische Horden Kirchen oder Christen-Siedlungen niederbrennen. Damit sind sie sozusagen leichte Beute. Es gibt aber auch Gemeinden, die sich bis an die Zähne bewaffnet haben.
Und die werden nicht angegriffen?
Schirrmacher: Genau.
Gibt es eigentlich irgendwo einen Hoffnungsschimmer?
Schirrmacher: Aber ja. Das Thema Christenverfolgung wird ernster genommen denn je. Selbst die UNO beschäftigt sich inzwischen mit dem Schutz der Religionsgruppen. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat erstmals einen Beitrag zu unserem Jahrbuch beigesteuert. Auch Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International, die lange nichts mit Christenverfolgung im Sinn hatten, sind nun wachsam. Zudem fordert die neue Bundesregierung offensiver als die alte den Schutz der Religionsfreiheit ein, etwa in China oder der Türkei. Auch hinduistisch und buddhistisch geprägte Länder wie Nepal oder Sri Lanka machen Fortschritte. Selbst Ostkirchen wie die griechische Orthodoxie, die bislang andere Glaubensgemeinschaften kleinzuhalten versuchte, loben nun die Religionsfreiheit.
Woran liegt das?
Schirrmacher: So bedenklich es klingt: Hier hat der allgegenwärtige Islamismus viel bewegt. Von diesem Feindbild wollen sich einfach alle Nichtmuslime abgrenzen.
Das Gespräch führte Till-Reimer Stoldt
Artikel erschienen in Welt am Sonntag NRW am 12.11.2006