08.06.2005
Europa-Parlamentariern auf die Finger sehen
Die Evangelikalen sind seit 1. Juni durch einen Polit-Profi in Brüssel vertreten
Europa-Parlamentariern auf die Finger sehen
Die Evangelikalen sind seit 1. Juni durch einen Polit-Profi in Brüssel vertreten
Seit dem 1. Juni hat die Allianz, die rund zehn Millionen Evangelikale in 33 Ländern repräsentiert, eine neue politische Beauftragte in Brüssel, Tove Videbaek. Marcus Mockler von der Nachrichtenagentur idea hat sie porträtiert.
Von 1998 bis 2005 saß die jetzt 59jährige Tove Videbaek für die Christlich-Demokratische Partei in Kopenhagens Folketing, gehörte zahlreichen Ausschüssen an und war Vorsitzende des Nationalen Komitees für Sozialfragen. Wie Politik funktioniert und worauf es bei Lobbyarbeit ankommt – das weiß Frau Videbaek aus eigener Anschauung. Und dieses Wissen wird ihr bei ihrem neuen Job in Brüssel sehr hilfreich sein.
Gesetzgebung beobachten
Aufgabe der EEA-Repräsentantin am Sitz der Europäischen Kommission ist es, insbesondere die Gesetzgebungsprozesse in den Europagremien sehr genau zu verfolgen und ihre Auswirkungen für Christen zu recherchieren. Das betrifft sehr unterschiedliche Bereiche: Antidiskriminierungsbestimmungen, die dazu führen können, daß Prediger nicht mehr unter Berufung auf die Bibel Homosexualität als Sünde brandmarken dürfen; Freigabe der Forschung an menschlichen Embryonen, was Christen aus ethischen Gründen ablehnen; Reise- und Aufenthaltsbestimmungen, die u.a. auch festlegen, ob Missionare aus Nicht-EU-Ländern künftig noch innerhalb der Union arbeiten können. Als Parlamentarierin in Kopenhagen empfand es Frau Videbaek immer als ungemein schwierig, aus christlicher Perspektive handfeste Informationen aus Brüssel zu bekommen. Dem will sie nun abhelfen und Informationsbriefe an christliche Politiker europaweit verschicken.
Mutter und TV-Direktorin
Tove Videbaek ist 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt in Haderslev in einer Pfingstkirche aufgewachsen. Sie heiratete 1967, das Pastorenehepaar arbeitete in verschiedenen Pfingstgemeinden. Parallel dazu wuchs ihr Medienengagement: Von 1986 bis 1998 war sie bei Kopenhagens christlicher Fernsehgesellschaft beschäftigt, zuletzt als Direktorin. Sie ist zweifache Mutter und zweifache Großmutter. In ihrer neuen Aufgabe in Brüssel folgt sie dem griechischen Juristen Vassilios Tsirbas nach, der die EEA-Repräsentanz kommissarisch übernommen hatte.
Was für Verfassung spricht
Die Zeit im Parlament hat ihren Blick auch für die Auswirkung von Rechtstexten geschärft – nicht zuletzt der EU-Verfassung, die jetzt von Franzosen und Niederländern abgelehnt wurde. Unter Evangelikalen gibt es unterschiedliche Meinungen zu diesem europäischen Grundgesetz, sagt sie. Als Vorteil wird betrachtet, daß nun endlich die verschiedensten Verträge zwischen EU-Staaten in einem klaren Regelwerk zusammengefaßt sind. Daß Mitgliedsländer weiterhin eine Austrittsmöglichkeit aus der Gemeinschaft haben (im Gegensatz zu deutschen Bundesländern oder amerikanischen Bundesstaaten, die bekanntlich nicht aus ihrem Land „austreten“ können), hält Frau Videbaek ebenfalls für ein Plus. Selbst der anvisierte Beitritt der Türkei – den die Christin aus Dänemark persönlich ablehnt, weil das muslimische Land kulturell und religiös zu weit von Europa entfernt sei – könnte sich zumindest in einem Punkt auch positiv auswirken: Türkische Evangelikale hoffen, daß Gängeleien und die Behinderung ihrer Arbeit durch Behörden durch das liberalere Recht in Europa zurückgehen wird.
Wird EU israelfeindlich?
Doch sieht die EEA-Repräsentantin auch gravierende Nachteile dieser EU-Verfassung. Der Gottesbezug, für den Tove Videbaek noch im dänischen Parlament gekämpft hatte, konnte sich nicht durchsetzen. Damit fehle dem Bund eine geistliche Mitte, was auch auf andere politische Entscheidungen Einfluß haben könnte. Frau Videbaek macht auf einen interessanten Nebenaspekt aufmerksam: Wie wird die Politik Europas gegenüber Israel aussehen, wenn die EU erstmals den in der Verfassung vorgesehenen gemeinsamen Außenminister hat? Viele Evangelikale befürchten, daß sich israelfeindliche Positionen durchsetzen, sagt die frühere Abgeordnete, die selbst ehrenamtlich in Dänemark dem Vereinigten Komitee für Israel, einem Dachverband von 30 israelfreundlichen Organisationen, vorsteht.
Diebstahl am ersten Arbeitstag
Noch ist es nicht so weit, denn das Inkrafttreten der EU-Verfassung ist durch die beiden Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden erst einmal in weite Ferne gerückt. Tove Videbaek hat an Europa derzeit näherliegende Wünsche. Sie möchte, daß die Union sicherer wird. Denn am Abend ihres ersten Arbeitstages wurde ihr in Brüssel die Geldbörse mit Kreditkarten und Führerschein geklaut.