13.07.2004
Das Bild vom "frommen Einfältigen" korrigiert
Hochrangige Delegation US-Evangelikaler hilft in Deutschland beim Abbauen von Vorurteilen<br />
Das Bild vom "frommen Einfältigen" korrigiert
Hochrangige Delegation US-Evangelikaler hilft in Deutschland beim Abbauen von Vorurteilen
Im Pressedienst idea berichtet Marcus Mockler über einen Besuch leitender Evangelikaler aus den Vereinigten Staaten. Als Deutsche Evangelische Allianz haben wir - wie im Artikel erwähnt - ebenfalls einen Abend mit ihnen verbracht. Gerne veröffentlichen wir deshalb nachfolgenden seinen Bericht.
"„Es ist leichter, Atome zu zertrümmern als Vorurteile“, soll Albert Einstein einmal gesagt haben. Vorurteile gegen Evangelikale und von Evangelikalen gibt es viele – in Deutschland wie in den USA. In Deutschland hat das fromme Amerika keine gute Presse – es steht für Todesstrafe, Irak-Krieg und Schöpfungslehre statt Evolutionstheorie. Umgekehrt halten viele US-Evangelikale das Christentum in Deutschland für eine geistliche Lebensform, die durch das Virus des Liberalismus bereits auf dem Sterbebett liegt. Höchste Zeit, Vorurteile abzubauen, findet der Bundestagsabgeordnete Hermann Gröhe (CDU), der auch dem Rat der EKD angehört. Er regte einen Besuch führender US-Evangelikaler in Deutschland an – mit teilweise überraschenden Erkenntnissen.
Ein Schlüsselereignis war für Hermann Gröhe 2001 die Berichterstattung über den neuen US-Botschafter in Deutschland, Dan Coats. Als bekannt wurde, daß Coats evangelikaler Christ ist, erntete er hämische Schlagzeilen. „Eine Wochenzeitung schrieb, Coats habe Jesus immer im Reisegepäck“, erinnert sich Gröhe. Das in Deutschland gepflegte Vorurteil der frommen Einfältigen empfindet er als „arrogant und herablassend“. Daß die Evangelikalen in den USA große Bildungseinrichtungen leiten, eigene Denkfabriken unterhalten und auf vielfältige Weise Einfluß auf die Politik der Supermacht nehmen, fällt in vielen Medien unter den Tisch. Das allzu kantige Bild sollte nach Gröhes Ansicht runder werden – er gewann die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, deren Vorstand er angehört, dafür, führende US-Evangelikale zu Gesprächen nach Deutschland zu bringen.
Starke Besetzung
Die Teilnehmer waren auf beiden Seiten von hoher Prominenz. Die evangelischen Bischöfe Wolfgang Huber (auch EKD-Ratsvorsitzender), Axel Noack und Rolf Koppe standen ebenso zur Verfügung wie von christdemokratischer Seite die Parteivorsitzende Angela Merkel, Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident a. D. Bernhard Vogel, Vorsitzender der Adenauer-Stiftung. Einen Abend lang waren Evangelikale unter sich (Anmerkung des Internet-Redakteurs: mit einer Delegation der Deutschen Evangelischen Allianz zusammen). Da traf die Delegation auf CVJM-Generalsekretär Ulrich Parzany, das Vorstandsmitglied der Europäischen Evangelischen Allianz Rudolf Westerheide, den Direktor der Berliner Stadtmission, Hans-Georg Filker, und den Mitvorsitzenden der Evangelischen Allianz Berlin, Axel Nehlsen. Hoch besetzt auch die amerikanische Gruppe: David Neff, Chef des einflußreichen Monatsmagazins „Christianity Today“; Richard Cizik, Vizepräsident und Politstratege der Nationalen Vereinigung der Evangelikalen (NAE), der rund 27 Millionen Amerikaner zugerechnet werden; Roger Parrott, Vorsitzender des Forums der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation, die im Herbst ein großes internationales Treffen im thailändischen Pattaya abhält; Richard Land, Vorsitzender der Kommission für Ethik und Religionsfreiheit bei den Südlichen Baptisten, der mit 16 Millionen Mitgliedern größten protestantischen Kirche der USA; dazu die beiden Hochschuldozenten Mark Noll (Wheaton College) und Glen Harold Stassen (Fuller-Seminar).
Das „C“ in der Politik
Amerikanische Evangelikale finden das deutsche Parteiensystem faszinierend. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts gibt es in den USA nur zwei ernstzunehmende Parteien, die Republikaner und die Demokraten. Und weil beide ihre Mehrheiten in der politischen Mitte suchen müssen, hat es für profiliert christliche Positionen keinen Platz. Daß Christdemokraten und Christsoziale das „C“ im Parteinamen tragen, ist für Amerikaner geradezu ein Tabubruch. Politiker dürfen zwar Christen und Christen Politiker sein, aber die strikte Trennung von Kirche und Staat erfordert es nach amerikanischer Lesart, daß sich eine Partei nicht zu einem Glauben bekennt. Das höchste der religiösen Gefühle ist es, daß ein Parteitag in den USA mit einem Gebet eröffnet wird, erläutert der Journalist David Neff. Dabei sollte allerdings nicht der Name Jesus Christus auftauchen, sonst könnten Juden und Muslime verschnupft sein. Eine parteiinterne religiöse Plattform wie der Evangelische Arbeitskreis (EAK) der CDU/CSU wäre in einer amerikanischen Partei nicht denkbar.
Parteipolitik ist ohnehin nicht Sache der Frommen in den USA, obwohl die Positionierung recht eindeutig ausfällt: Mehr als 70 Prozent aller regelmäßigen Kirchgänger wählen die Republikaner, rund 40 Prozent der republikanischen Wähler sind Evangelikale. Hier sehen konservative Christen traditionelle Werte besser aufgehoben: den Kampf gegen die massenhaften Abtreibungen (in den USA werden jährlich rund 1,5 Millionen Ungeborene getötet), für die Familie und gegen die Homo-„Ehe“. Attacken gegen christliche Werte sind auf diesen Gebieten immer von den Demokraten ausgegangen.
Knallharte Pragmatiker
Die politischen Aktivitäten der Evangelikalen zeigen allerdings ein facettenreicheres Gesicht. Daß konservative Christen in einer Demokratie auch eine weltliche „Macht“ darstellen, haben sie selbst erst in den vergangenen zwanzig Jahren entdeckt. Auf ihrer Agenda stehen selbstverständlich Religionsfreiheit und Lebensschutz, aber nicht nur. Ihre zweite große Gesetzesinitiative wandte sich beispielsweise gegen Sextourismus und für die Möglichkeit, Kinderschänder in den USA vor Gericht zu stellen, auch wenn sie ihre Verbrechen in Asien begangen haben. Richard Cizik von der Nationalen Vereinigung der Evangelikalen und seine Mitstreiter in Washington sind knallharte Pragmatiker. „Wir können es nicht zur Voraussetzung machen, daß Politiker bibeltreue Christen werden, bevor wir mit ihnen zusammenarbeiten“, sagt er. Deshalb hätten die Evangelikalen beim Thema Religionsfreiheit auch mit Buddhisten zusammengearbeitet, beim Kampf gegen den Sextourismus mit Feministinnen.
Offiziell gibt es übrigens keine Allianz zwischen den Evangelikalen und US-Präsident George W. Bush, der sich selbst als Evangelikalen betrachtet. Die Distanz ist in den vergangenen Wochen sogar eher gewachsen. Selbst Richard Land von den Südlichen Baptisten, einer der glühendsten Verfechter des Irak-Krieges, mußte sich kurz vor seiner Deutschlandreise dagegen verwahren, daß Bushs Wahlkampfbüro Kirchengemeinden in die Strategie einbeziehen und etwa Daten aus Mitgliederverzeichnissen abschöpfen wollte. Dennoch gilt: Auch wenn es einigen Verdruß über die erfundenen Massenvernichtungswaffen im Irak und die Folterungen im Gefängnis Abu Gharib gibt – Evangelikale schwenken in aller Regel nicht zu den Demokraten, sie protestieren lieber durch das Fernbleiben von der Wahlurne. Das war schon bei der letzten Wahl für Bush ein Problem, Experten sprechen von vier bis fünf Millionen zusätzlicher Stimmen, die er für sich hätte mobilisieren können.
Evangelikale Sorgen um Klimaschutz
Beim Thema Klimaschutz kann Richard Cizik von der NAE kaum auf die Republikaner zählen. Dort gibt es noch eine starke Fraktion, die bezweifelt, daß es so ein Phänomen wie Klima-Erwärmung überhaupt gibt. Da die USA aber angesichts ihres hohen Energieverbrauchs und dem damit verbundenen Kohlendioxid-Ausstoß für den Klimaschutz eine Schlüsselrolle besetzen, wollen die Evangelikalen unter den Abgeordneten Lobby-Arbeit machen – eventuell sogar mit politischer Unterstützung aus Deutschland. Die NAE hat bei der Adenauer-Stiftung angeregt, 2005 eine gemeinsame Tagung in den USA zum Thema „Bewahrung der Schöpfung“ zu veranstalten. In diesem Punkt müßten sogar deutsche Grüne, denen die frommen Konservativen in den USA besonders suspekt sind, die Zusammenarbeit mit den Evangelikalen suchen.
Überhaupt haben es die konservativen Christen aus Übersee inzwischen gelernt, international zu denken. Richard Cizik belegt es an einem einfachen Beispiel: Sein Vorgänger im Direktorenamt in Washington hat in 16 Jahren Amtszeit keine einzige Reise nach Übersee angetreten. Cizik selbst wechselt im Durchschnitt viermal pro Jahr den Kontinent, um sich mit Christen und Politikern in anderen Ländern zu treffen. Was ihn und die anderen Delegationsmitglieder verblüfft, ist der Siegeszug des europäischen Gedankens. Daß deutsche Gesprächspartner Formulierungen wie „Wir Europäer“ oder „die europäische Vereinigung“ gebrauchen, klingt in amerikanischen Ohren sehr ungewohnt.
„Schreckliche“ Kirchensteuer?
Immer wieder Kopfschütteln erntet das deutsche Kirchensteuersystem. Ethikprofessor Stassen, ein Baptist, nennt es „schrecklich“. Begründung: Wenn eine Gemeinde automatisch finanziert wird, geht das Engagement ihrer Mitglieder vor die Hunde. Stassen kann nur müde lächeln, wenn er hört, daß bei einem Sonntagsgottesdienst in einer deutschen Gemeinde eine Kollekte von 40 Euro zustande kommt. In einer durchschnittlichen amerikanischen Gemeinde wäre es wohl mehr als das 20fache. Vielleicht, so mutmaßt der Gast aus Übersee, ist das Kirchensteuersystem in Deutschland mitverantwortlich für die „Schwäche der Kirche“, in deren Reihen es so viele unengagierte Mitglieder gibt. Gleichzeitig zeigten sich aber alle Mitglieder der US-Delegation beeindruckt, mit welcher Entschiedenheit der EKD-Ratsvorsitzende Huber das Thema Mission anspricht und wie selbstbewußt die Deutsche Evangelische Allianz ihre evangelistischen und politischen Anliegen in die Gesellschaft trägt. Das macht den Christen aus Amerika Hoffnung, daß die Lutherstätten in Wittenberg und Eisenach, die sie auf ihrer Tour besuchten, nicht nur historische Zeugnisse der Reformation darstellen, sondern die sichtbaren Wurzeln eines wieder erstarkenden Protestantismus in Deutschland bleiben.